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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mich hinzusetzen. Meine Finger kribbeln, so sehr möchte ich zu Falk stürzen und ihm ins Gesicht schlagen, eine Ohrfeige, die er sein Lebtag nicht mehr vergisst. Damit wenigstens etwas von mir in seinem Gedächtnis bleibt.
    Falk steht langsam auf. Ich höre seine Knie knacken, als er sich erhebt. Seine Mundwinkel wandern ein Stückchen nach unten, sein typisches, verborgenes Lächeln. Jetzt hasse ich es.
    »Nimm’s nicht persönlich, Linna. Ich hab’s halt –«
    »Verschwinde oder ich mache dich kalt.« Ich meine es so, wie ich es sage, lieber wäre er mir tot als lebend, damit könnte ich besser existieren, mit einem toten Falk und dem Glauben, dass er mit mir die schönste Nacht seines Lebens hatte. Denn genau das, wird mir gerade bewusst, habe ich die ganze Zeit gedacht. Dass es auch seine schönste Nacht war, eine Nacht, in der etwas mit ihm passierte, wonach er bei jeder anderen Frau vergebens gesucht hat. Ich selbst habe nicht danach gesucht. Ich wusste immer, dass ich es woanders nicht finde. Ich wollte es gar nicht woanders finden. Aber allein ist es nichts wert.
    Meine Augen wollen nicht mehr sehen, ich erkenne nur noch Schemen, alles verschwommen und schwarz-weiß. Die anderen ziehen sich zurück, als sei ich gar nicht da, keiner bittet mich, mit ihnen zu kommen, und ich höre ihre Stimme, während sie gehen, sie hallt in meinem Kopf wider, in tausend ätzenden Echos, die nicht leiser, sondern lauter werden. Dir wird jeder Mann davonlaufen, jeder Mann … niemand wird bei dir bleiben, mit dir hält man es nicht aus …
    Meinte sie das? Dass die Männer sogar ihre Erinnerungen an mich verdrängen? Es kommt auf das Gleiche heraus, ob ich verlassen werde oder aus dem Gedächtnis gestrichen. Ich schlage mit der Faust gegen die Wand, einmal, zweimal, dreimal, so oft, bis meine Knöchel brennen. Einer der Schemen kommt zurück und bleibt vor mir stehen, im ersten Moment denke ich, dass sie es ist, dass sie es geschafft hat, mich auch hier heimzusuchen und an den Pranger zu stellen, doch als ich wie unter Hypnose aufsehe und mein Blickfeld schärfer wird, erkenne ich Jules.
    »Was ist?«
    »Das hättest du nicht sagen dürfen, Linna. Du hättest es für dich behalten sollen.«
    Warum klingt auch das wie ein Vorwurf? Ich bin doch diejenige, die sich bis auf die Knochen blamiert hat, Maggie hatte schon recht, das war was fürs Fremdschämen. Aber Jules wirkt nicht mitfühlend, sondern anklagend. Weil Simon das Spiel gestoppt hat? Ist das jetzt etwa auch meine Schuld? Wollen sie mich am Ende vielleicht noch für den Sturm da draußen verantwortlich machen?
    »Ihr könnt mich alle mal. Geh mir aus den Augen, Jules.«
    Ich spüre, dass er mich anstiert, es ist kein netter Blick und auch kein tröstender, ich muss nicht aufschauen, um das zu erkennen. Was erwartet er von mir? Dass ich mich entschuldige, weil ich mich an diese Nacht erinnere? Nein, Falk sollte sich entschuldigen, weil er sich nicht erinnert! Hier stimmt doch gar nichts mehr!
    Ich bleibe stehen, bis auch Jules die Stiege hinuntergeklettert ist, dann haue ich weiter gegen die grob verputzte Wand, bis meine Knie nachgeben und ich neben dem Ofen auf das weiche Tierfell sacke. Zitternd ziehe ich meine Beine an, sodass ich meine Knie vor dem Bauch mit den Armen umschlingen kann. Mein Atem geht stoßweise, wie nach einem Kampf. Mein ganzer Körper bebt.
    Wie oft lag ich so in meinem Zimmer, um wieder zu mir zu kommen, neue Kraft zu schöpfen, immer bei vollem Bewusstsein. Ich breche nicht zusammen. Ich werde nicht ohnmächtig. Ich würde es gerne, vielleicht hätte es ihr gezeigt, was sie mit mir anstellt, wenn ich zusammengebrochen wäre, Kreislaufkollaps mit allem Drum und Dran, aber mein Körper hat diese Reset-Funktion nicht, er arbeitet und arbeitet und arbeitet, auch wenn ich mir mit den Fäusten gegen den Schädel schlage, um ihn auszuknocken und nichts mehr fühlen zu müssen.
    Niemals hätte ich zu Jules fahren und mit den anderen in die Berge reisen sollen. Ich hätte mir meine eigene schöne Erinnerung bewahren sollen, meinen Schatz, ohne Realitätsprüfung, denn sie ist nichts wert, wenn ich weiß, dass er sie nicht teilt. Ich bin ganz allein mit ihr. Sie verkommt damit zur puren Lächerlichkeit, zu einer Farce. Ich selbst bin eine Farce.
    Es gab diese Nacht. All die Jahre hat es genügt, die Augen zu schließen, und schon tauchte ich ab in meine Erinnerungen, die mich weich und warm umfingen. Es war August, ein lauer, samtiger Abend … Ein

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