Linna singt
liegen bei ihm. Jemand, der bei klarem Verstand ist, zieht sich vor seiner Flucht Schuhwerk an. Urplötzlich fange ich wieder an zu schlottern. Ja, ich habe gerade überlebt und wurde aus einer Lawine ausgebuddelt, aber an meiner Situation hat sich nichts geändert. Ich bin immer noch mit Menschen, die ich nicht mehr kenne, in einer kleinen Hütte eingesperrt. Es sind geistig gesunde Menschen und niemand wird mich zwingen, Tabletten zu schlucken, die ich nicht schlucken will, aber ich würde mein letztes Hemd dafür geben, mich endlich wieder frei bewegen zu können. Selbst Lunas Gegenwart ist mir zu viel.
Als habe Falk meine Gedanken erraten und wolle noch eins draufsetzen, klopft er neben mich auf die Matratze und mit einem Satz hechtet Luna hinauf. Ich erschauere, als ihre warme Zunge über meinen Nacken fährt und sie sich neben mir ausstreckt, um ihre Schnauze vertrauensvoll auf meinen Rücken zu betten und ergeben zu seufzen. Löffelchenstellung mit einem Hund.
»Linna … nun fass sie doch mal an. Hey …« Falk nimmt meine Hand und zieht sacht daran, bis ich wieder auf den Rücken rutsche und Lunas Kopf auf meinem Bauch liegt. Meine Finger verkrampfen sich unwillkürlich zu einer Faust, als Falk sie auf Lunas Fell drückt. »Ich kann nicht verstehen, dass du sie nicht magst, sie ist eine Seele von einem Hund! Und sie wärmt dich, sie macht das gerne, sie vertraut dir …«
»Ich mag Hunde. Ich mag sie sogar sehr …« Ich muss zwischen jedem Wort eine Pause machen, um das Schlottern zu unterdrücken, doch stoppen kann es mich nicht. »Unsere Nachbarn hatten einen Schäferhund, Hasso hieß er, mit einer dunklen, fast schwarzen Fellzeichnung. Er hat mir aufs Wort gehorcht. Er hätte jeden angegriffen, wenn ich es befohlen hätte. Es gab Zeiten, da war er mein bester Freund, und ich wollte immer einen Hund haben wie ihn, so treu und verlässlich und … und …« Unverrückbar in seinem Wissen, dass ich kein schlechter Mensch bin?
»Was ist passiert?«
Langsam beginnt sich Lunas Körperwärme auf mich zu übertragen. Scheu streicheln meine Finger über ihr raues Fell und sofort überfluten mich die Erinnerungen an diesen festen, kräftigen Hundekopf in meinen Händen, wenn wir uns durch das Gittertor hinweg begrüßten und er dankbar über meine Ohren leckte. Wie oft hatte ich mir ausgemalt, das Törchen zu öffnen, ihn zu mir zu rufen und mit ihm abzuhauen, um zusammen mit Freunden in einer Hütte fernab von zu Hause zu leben. Jetzt bin ich zusammen mit Freunden in einer Hütte und weit weg von zu Hause, sogar ein Hund ist dabei, und es ist ein Albtraum. Ja, was ist eigentlich mit mir passiert? Wieso habe ich Luna wie einen Fußabtreter behandelt, wo sie mich doch offensichtlich von der ersten Sekunde an in ihr Herz geschlossen hat? Ich schließe die Augen und schweige.
»Warst du damals … warst du damals auch schon so?«, fragt Falk zögerlich, als ich nicht antworte. Was meint er damit? So panisch? Nein, das meint er nicht, oder? Und was bedeutet damals – unsere Nacht? Erinnert er sich? Oder meint er nur die Zeit mit der Band? Doch meine Antwort trifft auf beides zu.
»Nein«, sage ich leise.
Falk schweigt eine Weile, versunken in Gedanken wie ich. »Warum bist du abgehauen? Linna, du hattest doch nie vor etwas Angst.«
»Ich hatte keine Angst«, wiederhole ich ohne jegliche Hoffnung, Glauben zu finden. »Ich hasse es nur, eingesperrt zu sein.«
»Ich auch, Liebes.« Falk sieht mich so ernst an, dass meine Hände aufhören, Luna zu streicheln, und ich seinen Blick wie gebannt erwidere, bevor er ihn von meinen Augen löst. »Ich hasse es. Aber noch mehr hasse ich es, tot zu sein.«
Betreten senke ich meine Lider. Ja, ich hätte tot sein können. Ich kann ihm nicht widersprechen.
»Es muss doch einen Auslöser gegeben haben«, murmelt Falk fragend. Oh, er ist also immer noch mit der Ursachenforschung beschäftigt. Nein, darüber möchte ich nicht sprechen, nicht jetzt und nicht mit ihm. Lieber halte ich mich an dem fest, was real ist: einer kindischen, blöden Strafe, vollführt im Suff von Menschen, für die ich früher durchs Feuer gegangen wäre.
»Falk, wo sind meine Sachen? Mein Kamm, mein Skizzenbuch, mein MP3-Player und das Bild über meinem Bett?«
Sein Blick verschleiert sich, wird fern. Langsam wendet er sich von mir ab. »Ich hab keine Ahnung, Linna. Ehrlich. Sie sind weg? Wolltest du etwa deshalb abhauen?«
Ungeduldig stöhne ich auf. Luna erwidert meinen Laut mit einem herzhaften
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