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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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hat Probleme, den Riegel zu lockern, und Lunas warnendes Bellen und Kläffen geht mir durch Mark und Bein, aber beim dritten Versuch gibt das vereiste Metall nach.
    »Sei still!«, zische ich und hebe die Hand. »Luna, aus!« Sie gehorcht sofort.
    Da war es wieder, dieses schaurige, gurgelnde Stöhnen, sogar zweistimmig. Auch Falk lauscht angespannt. Ja, da stöhnen zwei Wesen, eines leise und schwach, das andere penetranter. Mit einem flauen Gefühl im Magen lasse ich frischen Sauerstoff durch meine Nase strömen und muss im selben Moment husten. Irgendetwas reizt meine Schleimhäute und lässt meinen Atem stocken. Sogar Falk reagiert darauf; ich höre es an dem leisen Rasseln in seiner Kehle.
    Mit der Schulter wirft er sich gegen die Tür und sie gibt knarrend nach. In einem schmalen weißen Strahl fällt das Licht durch das einzige Fenster an der Rückseite des Schuppens auf den Boden, aber ich erkenne sofort, dass hier keine sterbenden Menschen liegen. Trotzdem weiß ich, dass in diesem verdreckten Gefängnis lebendige Wesen dahingesiecht sind. Diesen Geruch kann auch ich wahrnehmen – den Geruch nach Aas. Und vielleicht ist dieser Geruch dem Gestank verfaulender Menschen gar nicht so unähnlich.
    »Halt Luna fest! Ich muss da rein.«
    Folgsam schiebe ich meine Finger zwischen den Lederriemen und ihr warmes Fell, aber sie zieht mit aller Macht nach vorne zu ihrem Herrchen, das soeben im Dunkel des Schuppens verschwunden ist. Obwohl ich mich mit aller zur Verfügung stehenden Kraft in den Boden stemme, schaffe ich es nicht, sie festzuhalten, und muss hinnehmen, dass sie mich ebenfalls ins Innere schleift. Jetzt muss ich durch den Mund atmen, sonst fange ich an zu würgen.
    »Dieser Hurensohn«, schimpft Falk und taucht aus dem Dunkel hervor, in der rechten und linken Hand zwei tote Hühner, die mit dem Kopf nach unten zwischen seinen Fingern baumeln, ihr braunes Gefieder schmutzig und zerrupft. »Warum hat er uns nichts gesagt? Lässt hier die Tiere verrecken …«
    Mit Schwung wirft er die toten Hühner an Luna und mir vorbei in den Schnee. Luna will ihnen hinterherjagen, doch ich klemme sie zwischen meine Knie und schiebe auch noch meine zweite Hand unter ihr Halsband. Röchelnd fügt sie sich.
    »Was tust du da?«, frage ich ungewohnt piepsig, als Falk zwei weitere krepierte Hühner in den Schnee pfeffert.
    »Die holt der Fuchs«, erwidert er knurrig und durchsucht die anderen Ecken des Schuppens nach verendetem Viehzeug.
    »Sind sie erfroren?«
    »Totgehackt«, erklärt er wortkarg, bückt sich und greift langsam in einen kleinen Holzbau hinein, um die nächsten zwei Hühner herauszuziehen, doch diese beiden leben, denn von ihnen stammen die klagenden, elenden Laute, die nun ängstlicher und fordernder zugleich klingen. Das Huhn in Falks rechter Hand unternimmt sogar einen halbherzigen Versuch, zu gackern und sich aufzuplustern.
    »Wer hat sie denn totgehackt?« Ich komme mir dumm vor, diese Fragen zu stellen, aber ich bin nun mal ein Stadtkind und kenne Hühner vor allem als Schnitzel und offen gestanden sind sie mir in dieser Variante auch lieber als das, was sich mir jetzt offenbart – kotverkrustete, magere Tiere mit starren Augen und kahlen Stellen im Gefieder. Und wie sie mich ansehen … Als sei ich es gewesen, die sie hier ihrem Schicksal überlassen hat – oder als würden sie ganz genau wissen, dass ich sie heute Morgen gehört und ihnen nicht geholfen habe. Ich habe beinahe das Bedürfnis, mich bei ihnen zu entschuldigen.
    »Die anderen Hühner«, antwortet Falk ungerührt, hockt sich auf die brüchige Bank neben der Tür und dreht das linke Huhn auf den Rücken, um seinen Bauch und sein Hinterteil zu untersuchen. Wunderbar. Hühner beißen sich also gegenseitig tot, wenn ihre Nahrung knapp wird. Das macht sie mir nicht sympathischer.
    Falk hält inne und scheint zu überlegen, während das linke Huhn wie gelähmt in seiner Hand kauert. Kein Versuch, zu fliehen oder aufzuflattern. Wahrscheinlich ist es zu schwach dafür. Nur das rechte, das auf Falks rechtem Hosenbein Platz genommen hat, knottert unentwegt vor sich hin; in meinen Ohren klingt es wie ein vergeblicher Versuch, sich selbst zu beruhigen. Falk atmet tief durch, als fasse er einen Beschluss, und schaut warnend zu mir hoch.
    »Guck lieber weg.«
    Ich ahne, was jetzt kommt, und ja, ich sollte wegsehen oder wenigstens ein Veto einlegen, denn mit einem Mal fällt mir wieder ein, dass Falks Eltern Landwirtschaft betreiben, im

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