Linna singt
ergehen. Je schneller ich hier fertig bin, desto schneller kann ich mich wieder auf den Weg machen und …
»Was sollte das überhaupt, hm?« Falk schmeißt das Handtuch achtlos zur Seite und wickelt mich in seine Bettdecke ein, bis ich wie eine Wurst im Schlafrock liegen bleibe. Luna lugt neugierig über den Bettrand und macht ein Gesicht, als würde sie am liebsten auf mich springen. »Was wolltest du da unten?«
Ich antworte nicht. Ich verstehe selbst nicht, was geschehen ist. Nicht was gestern Abend geschah und auch nicht heute Morgen. Ich weiß nur, dass ich wieder denken kann. Langsam noch und unter Mühen, aber ich kann es. Auch die rasenden Kopfschmerzen haben nachgelassen.
»Linna, du bist vollkommen durchgeknallt, weißt du das? Zu Fuß nach unten ins Dorf laufen … Du hast den Verstand verloren.«
»Wir sind doch auch zu Fuß hochgelaufen«, erinnere ich Falk so frostig, wie ich mich fühle. Mein erster vollständiger Satz, nachdem er mich in sein Zimmer verschleppt hat.
»Bei Regen und maximal zehn Zentimeter Pappschnee, aber nicht nach einem Schneesturm!«, wettert er. »Und wir haben den Weg benutzt! Du wolltest dich querfeldein den Berg hinunterstürzen, ohne Schuhe!« Wieder sieht er mich fragend an. »Hast du Panik bekommen? Du hattest Angst, oder?«
Mühsam richte ich mich auf und schaue ihn drohend an, doch ehe ich etwas sagen kann, fangen meine Zähne so heftig zu klappern an, dass jedes Wort sinnlos wäre. Jetzt erst merke ich, wie höllisch kalt mir ist; ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals wieder aufhören werde zu frieren. Kraftlos sinke ich zurück auf die Matratze und wehre mich nicht, als Falk die Decke bis an mein Kinn hochzieht und erneut das Handtuch nimmt, dieses Mal, um die Feuchtigkeit aus meinen Haaren zu frottieren.
»Ich hatte keine Angst«, stammele ich schließlich abgehackt. »Und erst recht keine Panik.«
Er stöhnt gereizt auf. »Mann, Linna, du bist in Socken den Berg runtergelaufen. Hältst du mich für bescheuert?«
»Ich hatte keine Panik«, entgegne ich müde und weiß genau, dass ich lüge. Aber ob ich die Wahrheit sage oder nicht, hat in den vergangenen Tagen nicht die geringste Rolle gespielt. »Wieso hast du mich überhaupt gesehen?«
»Weil ich mit Luna rausmusste. Sie hat wohl gestern Schnee gefressen und Durchfall gekriegt.«
Ich seufze geplagt auf. Grundgütiger, auch das noch … Dieses Kalb hat Dünnschiss und fährt mir mit seiner riesigen Zunge übers Gesicht, wahrscheinlich nachdem es sich vorher ausgiebig den Hintern sauber geleckt hat. Großartig.
»Wie spät ist es überhaupt?«, frage ich so neutral wie möglich.
»Kurz nach sechs. Die anderen schlafen noch.«
Ich gönne mir ein paar Sekunden, um nachzudenken, während das stechende Prickeln in meine Knöchel und die Unterschenkel hinaufwandert. Es treibt mir die Tränen in die Augen. Trotzdem konzentriere ich mich, so gut es geht. Wir haben das Spiel gespielt, ich habe Jules für Falk gehalten, ihn geküsst, er schlug mich, ich hab den Tee mit Rum getrunken – Cut. Weiter komme ich nicht. Ab diesem Punkt herrscht verschlingende Schwärze in meinem Kopf. Bis ich aufwachte, mich todkrank fühlte und … Und? Ja, ich habe länger nichts getrunken, vielleicht vertrage ich nicht mehr so viel wie früher. Es kann Stroh-Rum gewesen sein, hochprozentig. Dass ich mir nachts meinen Hosenknopf öffne, ist auch nicht ungewöhnlich, ich schlafe oft mit der Hand im Slip ein, um meine Blase zu wärmen. Das Chaos in meinem Zimmer? Meine verschwundenen Sachen? Nein, das kann nicht ich gewesen sein. Ach, Moment, natürlich … Die Strafe. Die Strafe fürs Flaschendrehen. Sie waren das. Es ist lächerlich, aber was sollten sie auch sonst tun? Mein Kamm und das Bild bedeuten mir etwas, mein Skizzenbuch und mein MP3-Player erst recht, mehr habe ich nicht dabei, was mir wichtig ist. Ich besitze weder teuren Schmuck noch eine gut gefüllte Geldbörse. Doch das war es nicht, was mich hat panisch werden lassen. Sondern das Gefühl, eingesperrt und fremden Menschen ausgeliefert zu sein. Wie damals.
»Ich wollte runter ins Dorf, um heimzufahren. Ich hab die Nase voll. Mich nervt Maggies Gezicke und Jules ist gestern zu weit gegangen. Das muss ich mir nicht gefallen lassen.«
Falk zieht die Brauen nach oben und bearbeitet weiter meine Haare, ohne mein Statement zu kommentieren.
»Ich krieg doch keine Panik … So ein Bullshit.«
Falk weist nur schweigend auf meine Füße. Gut, okay. Die Argumente
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