Linna singt
Waschbecken und wirft mir seinen Kamm herüber. »Hier, ich brauch ihn nicht. Kannste haben.«
»Danke.« Ich ziehe ein paar Haare aus seinen schwarzen Zinken, die im Licht der Morgensonne golden aufglimmen.
»Vielleicht sind deine Sachen ja hinten im Schuppen.«
»Oh Gott, der Schuppen! Den hab ich total vergessen!«, rufe ich erschrocken. »Der Schuppen! Wir müssen zum Schuppen, da liegt jemand, vielleicht ist es einer von den kranken Managern, die hier oben … nein. Quatsch«, unterbreche ich mich verlegen. Das klingt nun wirklich ein wenig geistesgestört. Ja, in dem Moment, als ich die Laute vernommen habe, war ich mir sicher, dass sie von einem Menschen stammten. Aber ich war auch wild entschlossen gewesen, zu Fuß einen steilen, lawinengefährdeten Berghang hinunter ins Dorf zu rennen, obwohl eine derartige Flucht wohl die sicherste Methode ist, sich mindestens eine Lungenentzündung zu holen und eine Handvoll Knochenbrüche gratis dazu. Womit ein Klinikaufenthalt in absoluter Gefangenschaft sicher gewesen wäre – genau jene Vorstellung, die mir meinen Schrecken eingejagt hatte.
»Ich weiß es nicht genau«, verbessere ich mich nach einer Atempause. »Aber da war etwas. Etwas Lebendiges. Ich habe ein … ein Röcheln gehört. Ehrlich. War es einer von euch?« Ich kann mir selbst nicht mehr vorstellen, dass dort einer der erkrankten Manager liegt; man würde ihn vermissen und außerdem müsste er längst erfroren sein. Es sei denn, der Mensch liegt erst wenige Stunden in dem Schuppen. Aber wer sollte das sein? Einer von den anderen, der meine Sachen dort verstecken wollte und gestürzt ist? Falk guckt mich zweifelnd an, doch ich habe schon die Decke zurückgeschlagen und stehe unter Schmerzen auf, obwohl mir sofort wieder schwindelig wird. Auch Luna ist aufgesprungen.
»Kommst du mit?«
»Du …« Falk zeigt mit kreisenden Bewegungen auf mich und seine Lippen kräuseln sich in einem plötzlichen Lächeln. »Du solltest dir vorher etwas überziehen. Etwas Trockenes, Warmes.«
»Noch wärmer als das?« Ich muss ebenfalls grinsen, während ich mit einem eleganten Knicks meine gefrorenen Sachen vom Boden auflese und unter den Arm klemme. Was Falk vorhin mit eigenen Händen von meinem Körper gestreift hat, würde Maggie niemals für möglich halten, und eigentlich sollte es auch kein männliches Wesen je zu Gesicht bekommen. Ich, die stadtbekannte Femme fatale und Rächerin aller frustrierten Ehegatten, in langer grauer Funktionswinterunterwäsche, zwei Paar Socken und einem beigefarbenen Schluchtensauser über meinem einfachen, blau-weiß gestreiften Baumwollslip von Tchibo.
»In zehn Minuten vor dem Anbau«, willigt Falk ein. »Und du gehst keinen Schritt alleine, verstanden?«
Ich salutiere knapp und verschwinde nach nebenan in mein Zimmer, wo ich trockene Klamotten vom Boden auflese und überziehe. Mein Gesicht reinige ich provisorisch mit Schnee vom Fensterbrett, wodurch auch die letzten Kopfschmerzen verschwinden, obwohl ich mich immer noch leicht benebelt fühle. Ich stecke meine kalten Hände tief in die Taschen meines dicken Fleecepullis, den ich mir statt meiner feuchten Jacke über meine drei anderen Pullover gezogen habe, und versuche, an nichts zu denken, während ich ohne ein Wort an Maggie vorbei aus der Hütte gehe und hinüber zum Anbau marschiere; dieses Mal mit meinen Boots aus dickem spanischem Leder, ebenfalls nicht für Schnee und Eis gemacht, aber hoffentlich robuster als das italienische Modell. Außerdem beherbergen sie ein paar warme, kuschelige Lammfelleinlagen.
Falk wartet bereits auf mich, sein Atem steht als weiße Wolke vor seinem gebräunten Sommer-und-Strand-Gesicht. Ich spare mir eine Begrüßung und stapfe ihm durch meine eigenen Fußspuren nach; wir sehen beide reichlich bescheuert dabei aus, wie wir versuchen, sie zu treffen und nicht ins Wanken zu geraten, aber trockene Socken sind derzeit Gold wert. Wenige Meter vor dem Schuppen bleibt Falk plötzlich stehen. Witternd zieht er die Luft ein. Was ist los? Stinkt es hier? Und kommt der Gestank aus dem Schuppen?
»Es riecht, oder?«, hake ich unsicher nach.
Falk dreht sich zu mir um, seine Augen vor Verwunderung geweitet.
»Riechen ist nett ausgedrückt, Linna. Das stinkt zehn Meter gegen den Wind.« Er zieht sich den Schal über die Nase und legt die letzten Schritte bis zur Tür des Schuppens zurück. Ich hole tief Luft und folge ihm, zusammen mit Luna, die wie ein junges Reh im Schnee umherspringt. Auch Falk
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