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Lisa

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Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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irgendjemand hätte Partys feiern wollen, bei seinen Schreiorgien und Gewaltexzessen mit herumfliegenden Tischen und Ausflügen mit dem Baseballschläger. Dreimal haben sie ihn erwischt, als er mit einem kleinen Flammenwerfer auf Leute losgegangen ist, die an seinem Haus vorbeispaziert sind. Das müsst ihr euch mal vorstellen, ihr geht friedlich eures Weges, da kommt ein riesiger Wikinger aus einem Haus gestürmt und will euch mit einem Flammenwerfer eins überbraten.
    Danach war er sogar ein paar Tage eingesperrt, was mich verwundert. Leider ist es so, dass ihr Menschen bedrohen könnt, wie ihr wollt, ohne hinter Gitter zu kommen, ob ihr nun ein durchgedrehter Ex-Ehemann seid oder ein Drogenfreak oder ein Stalker mit flackerndem Blick und Morgenstern im Aktenkoffer. Ihr könnt euch richtig austoben, im Gefängnis wollen sie euch ebenso wenig wie in der Anstalt.
    Das ist Tatsache. Nichts passiert. Ihr werdet belehrt. Keine weiteren Konsequenzen. Ist das nicht schön?
    Das Einzige, was eventuell Ergebnisse bringt, ist Selbsthilfe.Katha hatte mal einen Verehrer, der ihr vor dem Büro aufgelauert hat, den kannte sie noch von der Uni. Da hat gar nichts geholfen. Ich habe mit ihm geredet, geredet, geredet. Er hat verständnisvoll getan und ist am nächsten Tag wieder dagestanden mit seinen Blumen oder mit seinen selbstgebrannten CDs oder mit einem Horoskop, das er für sie erstellt hatte, oder mit den alten Ringen seiner toten Mutter. Kathas Bruder hatte weniger Geduld, der hat ihm ein paar auf die Nase gegeben.
    Es ist komisch, die Leute reagieren so heftig auf ihr eigenes Blut, es löst sofort einen Schock bei ihnen aus.
    Interessant, denn es heißt ja, dass Vermöbeln bei Stalkern nichts nützt. Offenbar sollte man es trotzdem probieren.
    …
    Hilgert kommt nicht weiter, und er ist schon kurz davor, alles hinzuschmeißen. Zuletzt redet er mit einer alten Fenstereule. Der ist ein Wagen aufgefallen, der nicht in die Gegend gehörte, aber den Fahrer hat sie nicht gesehen. Sie weiß nicht einmal mehr die Marke oder wenigstens die Farbe des Autos.
    Hilgert will sich verabschieden, da sagt sie, sie kann sich nur erinnern, dass sie zwei Leute singen gehört hat. Wie singen? fragt er. Na singen, sagt sie, da haben zwei zusammen gesungen, schön gesungen! Wer hat gesungen? So schön gesungen! Ja, aber was? Wirklich schön war das! Wer? Wer? Wer? Der Nachbar und noch jemand. Wer noch? So schöne Lieder! Wer hat die schönen Lieder mit dem Nachbarn gesungen? Eine Frau. Was haben sie gesungen? Lieder. Ja was für Lieder? Kann sie nicht sagen. Und so weiter. Dem müssen die Haare zu Berge gestanden sein bei dieser Unterhaltung. Die alte Dame war schon ziemlich schwupp undwollte dauernd nur von ihren Katzen reden und von der knappen Rente und von den undankbaren Verwandten, die sie alle ermorden wollen, und vom Ernsti-Buben, der im Krieg geblieben ist, und vom Heim, in das sie niemals ziehen wird, vorher geht sie ins Wasser.
    Mit Unfreundlichkeit kommt ihr da nicht weiter, denn dann kriegen sie nur Angst, und ihnen fällt überhaupt nichts mehr ein, oder aber sie phantasieren das Blaue vom Himmel herunter, nur um den bösen Polizisten zufriedenzustellen.
    Also, das geht eine Weile so hin und her. Hilgert findet heraus, dass der Wikinger am Abend vor seinem psychotischen Anfall Besuch gehabt haben muss, von einer Frau, mit der er gesungen hat. Die Frau scheint über Nacht geblieben zu sein. Gesehen hat sie leider niemand. Aber das reicht für Hilgert, um zu Hause eine ganze Truppe zu mobilisieren.
    Das heißt, er hätte sie gern mobilisiert, sie lässt sich nur nicht mobilisieren. Zu dem Zeitpunkt glauben nämlich viele in der Polizei nicht mehr, dass da alles mit rechten Dingen zugeht, sie haben das Gefühl, sie werden gefoppt. Es gibt zwar Genspuren dieser Frau, aber sie selbst gesehen hat keiner. Sie war anwesend bei verschiedensten Schwerverbrechen, aber da waren auch Männer und Frauen aus insgesamt fünfzehn Staaten, und keinen von denen haben sie in die Finger gekriegt. Und dann: Wie passen die grausamen Morde mit Hühnerdiebstahl, Einbruch in Bäckereien und primitiver Sachbeschädigung zusammen?
    Anfang der Neunziger zum Beispiel haben sie in Italien Lisas Spuren auf Mercedeslimousinen gefunden, von denen eine Gruppe Jugendlicher die Sterne abgerissen hatte. Die Jugendlichen haben sie nie erwischt, und die Genspuren sind überhaupt nur abgenommen worden, weil in derselbenNacht nicht weit entfernt jemand mit einem Messer im

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