Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lisa

Lisa

Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
Irrer mit einer Drogenvergangenheit bis zurück in die Kindheit, bei solchen Leuten kommt es durchaus mal vor, dass sich einer verstümmelt, und sogar so Pfannengeschichten sollen keine Seltenheit sein, bloß steht das nicht immer in der Zeitung. Zum Glück, wie ich finde. Das aber war damals zu lesen: Wikinger hackt sich Zehen ab und verspeist sie! Und so weiter, was jedoch, wie erwähnt, gar nicht stimmt, weil er beim Braten unterbrochen wurde. Offenbar hat er beim Abhacken und wohl auch zuvor gründlich für Lärm gesorgt, weshalb die Polizei angerückt ist.
    Ich fand die Geschichte prima, als ich sie in der Zeitunggelesen habe. Mal etwas anderes. Hahahahaha, ich muss gleich wieder lachen, wenn ich mir vorstelle, wie die Leute von der Polizei in die Wohnung eindringen, und da steht ein schöner Wikinger am Herd und brät sich mit sonnigem Lächeln seinen Vorderfuß.
    Vorderfuß, das ist eigentlich falsch, der Vorderfuß ist doch der vordere Fuß von einem Vierbeiner, oder? Egal. Ihr wisst, was gemeint ist.
    Seltsam nur, dass die damals Genspuren von unserem Phantom in der Wohnung gefunden haben. Ah schau an, da vergeht das Lachen gleich. Hoho. Na ist gut jetzt.
    Wieso haben die überhaupt DNA-Spuren gesucht? Was in den Zeitungen von Kommissar DNA geschrieben wird, stammt von Menschen, die man nicht als Journalisten bezeichnen sollte, weil deren Berufsbezeichnung korrekterweise »Mensch, der für alles unbegabt war und aufgrund nicht ganz schlechter Deutschnoten dachte, na werde ich eben Journalist« lauten müsste, auch gern von Kommissar Zufall, und der Zufall war hier am Werk.
    Zufälligerweise veranstaltete das Landeskriminalamt an diesem Wochenende einen Lehrgang für Jungkriminalisten oder Nachwuchslaborwissenschaftler im Polizeidienst, ich habe natürlich wieder einmal keine Ahnung, worum genau es sich handelte, doch für uns ist das nicht so wichtig. Wichtig ist, dass diese Gruppe junger Leute während ihrer Ausbildung in der Nähe war. Der Spurensuchausbildner schickt sie an einen Ort, wo nichts passieren kann, wo sie nicht viel kaputtmachen können, der aber für die jungen Leute eine gewisse Herausforderung im Spurenabnehmen darstellt, weil alles voll ist mit Blut, und in einer solchen Sauerei müsst ihr euch erst mal zurechtfinden und mit kühlem Kopfdie Pipetten zücken. Und deshalb schickt er sie da hinein. Zu Hause stört niemand, denn der Besitzer ist mittlerweile in Verwahrung.
    Zwei Männer und zwei Frauen nehmen die Proben. Ein paar Tage später kriegt Hilgert eine E-Mail. Sie haben die Genspuren von ungefähr zwanzig Leuten gefunden. Davon stammt eine vom Wikinger, eine zweite von unserem Phantom, und fünfzehn oder mehr von Unbekannten. Frauen, Männer, vor allem Russen.
    Das war es. Auf so etwas hatte er gewartet. Da kannten wir uns schon recht gut. Wir hatten sogar einen Spitznamen für die Frau. Wir nannten sie Lisa. Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden sie als erstes so genannt hat, doch für uns war sie bald nur noch Lisa. Was Neues von Lisa?
    Er hat mich angerufen, ehe er hingefahren ist, nach Österreich. In Linz war es, glaube ich. Ich erinnere mich noch an den gierigen Klang seiner Stimme, als er es mir erzählte. Lisa war eindeutig in der Wohnung dieses Freaks gewesen, und es gab womöglich Zeugen, vor allem den Fußfresser selbst.
    …
    War gerade bei Alex. Er wird älter und älter und größer und größer, und was ich besonders vermisse an der Zeit, die hinter uns liegt, ist sein Lachen in der Nacht. Ich glaube, etwas Süßeres gibt es gar nicht als ein kleines Kind, das im Schlaf lacht. Als er so vier war, fünf, da hat er manchmal die halbe Nacht gekichert. Man kann süchtig danach werden.
    …
    Also, Hilgert fährt nach Linz. Natürlich ohne zuständig zu sein, ein bayerischer Polizist ist in Österreich offiziell gar nichts, aber Hilgert kennt die Leute. Erst mal versucht ermit dem Wikinger Kontakt aufzunehmen. Als sich das schwierig gestaltet, weil sie den Mann in der Psychiatrie ziemlich im Tran halten, knöpft er sich die Nachbarn vor. Ob sie jemanden von der Party erkannt hätten. Stellt sich heraus, es gab keine Party. Definitiv nicht. Es ist überhaupt niemand gesehen worden. Niemand, absolut niemand, geschweige denn zehn oder fünfzehn Personen.
    Der Wikinger war auch längst in einem Zustand des Dauerwahnsinns, der ihn bei jedem Kontakt mit anderen Leuten vor komplexe Probleme gestellt hat. Genauer gesagt, er dürfte so ziemlich der Letzte gewesen sein, mit dem

Weitere Kostenlose Bücher