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Lisa

Lisa

Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Rotterdam und in London und in Rom und in Oslo. Moment, er will noch was.
    …
    Tut mir übrigens leid, dass die Sendung jeden Tag zu einem anderen Zeitpunkt startet, das hängt eben stark von meinen Befindlichkeiten ab. So wie heute, da muss alles raus, und zwar so rasch wie möglich. Was für ein Tag.
    …
    Das Phantom! Ich muss fast lachen, wenn ich daran denke, dass sie die Frau lange so genannt haben. Das Phantom, von Kommissar DNA gejagt! Solche journalistischen Perlen bekamen wir in der Zeitung zu lesen. Normalerweise blättert ihr über so etwas hinweg, interessiert ja niemanden wirklich. Es beginnt euch erst dann zu interessieren, wenn ihr reinen Gewissens einen Speicheltest abliefert und ein paar Tage später wegen Mordverdacht verhaftet werdet, da interessiert es euch dann mit Sicherheit! Aber solange das nicht passiert, pfff. Ich weiß zwar von keinem solchen Fall, doch ich will nicht ausschließen, dass so etwas vorkommen wird.
    Ich war heute ziemlich schlecht drauf, den ganzen Tag. Ich habe ein mieses Gefühl. Vor allem wegen dem Auto, das erzähle ich gleich. Aber auch wegen Hilgert. Ich weiß nicht, welche harmlose Interpretation mir noch für sein Verschwinden bleibt. Ich kenne ihn nicht gut genug, um einschätzen zu können, ob er zwischendurch mal ein, zwei Wochen einfach untertaucht. Ich glaube es nicht. Ich glaube, er ist verlässlich. Aber wer weiß? Eventuell ist er durchgedreht?
    Nehmen wir einmal an, der veranstaltet öfters solche Einkehrwochen. Vielleicht macht er das tatsächlich, vielleicht meditiert er im Kloster. Wieso tut er es ausgerechnet jetzt? Wie wahrscheinlich ist das? Eher glaube ich, ihm ist etwas passiert.
    Passiert, so ein beschönigender Mist. Dass er tot ist, davor habe ich Angst. Und wenn er das ist, Friede seiner Seele, er war nicht nur ein sympathischer Mensch, er war auch das Letzte, was zwischen mir und einer Sache gestanden hat, die das Schrecklichste und Schwärzeste und Grauenerregendste ist, von dem ich je gehört habe.
    …
    Das Auto. Ich dachte, ich sterbe. Ich sehe nur die Scheinwerfer, höre nichts, höre keinen Motor. War mitten in der Nacht, zwei oder drei Uhr. Die Scheinwerfer bleiben stehen, leuchten. Nichts zu hören.
    Ich öffne ein Fenster, Moskitos und Nachtfalter tanzen mir sofort um die Ohren, eine Fledermaus fliegt vorbei. Das Auto steht da. Auch jetzt nichts zu hören. Ich hänge starr am Fenster, ich denke nichts, fühle nichts, alles ist Eis.
    Dann dreht der Wagen langsam um und rollt davon. Ohne Motorgeräusch. In totaler Stille.
    Deswegen wohl auch die miese Stimmung heute. Alex hat nichts bemerkt, und ich habe ihm nichts gesagt. Angeschnauzt habe ich ihn ein paarmal, und das tut mir leid. Ich habe sogar bei der Polizei angerufen, doch die kommen mir nur mit dummen Witzen.
    Was soll ich tun? In die Stadt zurückfahren und vor der Polizeistation kampieren? Die stecken mich in die Klinik. Und wenn mich jemand kriegen will, kriegt er mich dort bestimmt leichter als hier, denn hier muss er mich erst finden.
    …
    Eigentlich wollten wir morgen im Zelt übernachten, im Wald oder wenigstens am Waldrand. Aber jede Wette, dassich darauf morgen keine Lust haben werde. Da würde sich der Erwachsene mehr fürchten als der Achtjährige.
    Wie ich das Alex beibringen soll, ist mir noch nicht klar.
    Bis vor kurzem habe ich es geliebt, draußen zu übernachten. Ich glaube, das sollte jeder tun. Ab und zu im Freien schlafen.
    Ich meine es ernst. Ich glaube, dass gegen den fröhlichen Wahnsinn unserer Zivilisation, der inzwischen unser Alltag ist, kaum etwas besser hilft als zwei, drei Tage und Nächte in der Natur. Das klingt so nazimäßig, das könnte von meinem Vater sein, der war so ein Strammer, doch das habe ich mir selbst beigebracht.
    Versucht es mal. Es ist erstaunlich, wie der Effekt auch und gerade bei Menschen eintritt, die man geradezu als denaturiert bezeichnen muss. Der erste Tag ist noch die reine Quälerei, und am Abend legt ihr euch mit gemischten Gefühlen in den Schlafsack. Aber bereits am nächsten Morgen, wenn ihr merkt, dass euch kein Bär gefressen hat, fühlt ihr euch wie neugeboren. Es ist schwer zu beschreiben. Ich rate allen, versucht es mal. Ihr werdet euch fragen, wieso ihr das nicht längst gemacht habt. Die meisten wundern sich, wie viel Selbstvertrauen sie durch zwei, drei Tage in den Bergen gewinnen.
    Vielleicht sollte ich eine therapeutische Praxis aufziehen. Das wäre was. Der Therapeut sitzt saufend und koksend vor dem

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