Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Roboterstimme doch tatsächlich, angepisst zu klingen. »Steht alles in der Mail.«
»Ich schau’s mir an. Allerdings hatte ich in letzter Zeit eine Menge Stress mit der Technik. Ein paar Vollidioten sind zum Beispiel in meinen Rechner eingestiegen und haben mir eine Scheißangst damit eingejagt. Ihr wisst wohl nicht zufällig, was ich meine?«
Eine Pause. »Wechsel nicht das Thema.«
»Ich hab gerade echt genug anderes zu tun. Falls es euch noch nicht aufgefallen ist: Ich hab alle Docs veröffentlicht, genau wie ihr wolltet. Jetzt könnt ihr sehen, was euer Gejammer gebracht hat – niemanden interessiert die Geschichte auch nur einen Dreck.«
»Hearts and Minds.« Hierz and Minds. »Schau’s dir an. Und check häufiger deine Mails.«
Dann legten sie auf. So viel zu meinem freien Abend.
Zyz hatte seine Finger überall drin und gründete für jedes neue Projekt gern ein eigenes Subunternehmen. Zum Beispiel war RedCoat der für »Sicherheitslösungen« zuständige Vertragspartner und für eine Menge übler Fälle von Kommunikationsüberwachung im Dienste der US - und anderer Regierungen verantwortlich.
Hearts and Minds war eins ihrer Topprodukte, auch wenn man es auf ihrer Homepage nicht fand. In den Darknet-Docs aber schon; und je mehr ich darüber las, desto wütender wurde ich.
Anscheinend war Hearts and Minds wegen eines Sonderauftrags der Air Force entstanden, die an einer Software für »Persona Management« interessiert gewesen war. Was das sein sollte? Das wusste ich auch erst nicht. Es gibt Sachen, die sind zu schräg, um von selbst darauf zu kommen.
Jeder hat schon mal von grassroots movements oder »Graswurzelbewegungen« gehört – so nennt man es, wenn sich ganz gewöhnliche Leute für ein politisches Ziel engagieren und nach Gerechtigkeit verlangen.
Das bizarre Gegenstück zu grassroots ist AstroTurf – Kunstrasen. Das sind gefakte Bewegungen, die von Parteien, der Regierung, Werbeagenturen, Geheimdiensten und anderen finsteren Gestalten initiiert werden, sofern da in der Praxis überhaupt ein Unterschied besteht. Bei einer Kunstrasenbewegung finden sich also Hunderte oder sogar Tausende »ganz normaler« Leute zu Demonstrationen zusammen, schreiben Leserbriefe und Protestbriefe an ihre Kongresszombies, ihren Stadtrat oder die Schulbehörde – was Leute eben machen, wenn ihnen was wichtig ist. Bloß dass die »normalen Leute« in diesem Fall bezahlt sind. Sie sind Darsteller einer gigantischen Inszenierung, in der sich gekaufte Statisten als gewöhnliche Bürger ausgeben, die ganz zufällig lieber ein Ölfeld anstelle eines Naturschutzgebiets vor der Tür hätten.
Diese ganzen Imitate glaubhaft als echte Menschen mit echten Anliegen auszugeben kostet aber leider eine Menge Geld. Am günstigsten fährt man, wenn man einfach »Sockenpuppen« verwendet: Eine Person legt sich mehrere Fake-Accounts im Netz an, die alle vorgeben, jemand anderes zu sein, aber leidenschaftlich derselben Meinung sind. Solche Spielereien nehmen manchmal echt kranke Züge an: Es kann auch passieren, dass eine Puppe auftritt, die nicht derselben Meinung ist wie der Rest, dies aber auf so abstoßend dämliche Art und Weise vertritt, dass sie damit sich selbst und alle Anhänger ihrer Position diskreditiert, und genau das ist ja auch beabsichtigt.
So ein Puppenspieler zu sein macht aber auch wieder Arbeit. Man muss ja seine ganzen Identitäten getrennt halten und daran denken, was sie jeweils über sich und ihre Ziele behauptet haben. Schließlich möchte man nicht, dass die angebliche Hausfrau aus dem Vorort auf einmal über Sachen plaudert, die eigentlich nur der angebliche Fernfahrer wissen kann.
Wenn man also mehrere Fake-Accounts gleichzeitig steuern möchte, braucht man dazu die richtigen Tools, um nicht den Überblick im Who is Who seiner kleinen erfundenen Welt zu verlieren.
Und genau so was nennt sich »Persona Management«.
Hearts and Minds war zwar für die Air Force entwickelt worden, RedCoat versorgte aber auch den freien Markt. Die Produktbroschüre, die ich las, prahlte damit, dass die Software von vielen Firmen zu Zwecken des »Rufmanagements«, der »Kommunikationspolitik« und der »strategischen Kommunikation« eingesetzt werde. Aus den Werbesprüchen wurde aber eines schnell klar: RedCoats Abnehmern in der Wirtschaft ging es vor allem darum, Leute in Verruf zu bringen, die im Netz die Produkte oder Dienstleistungen des jeweiligen Unternehmens anprangerten. Ob man nun minderwertige Lebensmittel
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