Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ganzes Gesicht verbarg und er nur noch durch zwei Augenlöcher schaute, die er hineingeschnitten hatte. »Ist ein Transformer«, nuschelte er durch das Tuch. »Kannst es dir beliebig binden, je nachdem, wie sehr du dich vermummen willst. Außerdem ist es mit was behandelt, was angeblich gegen Pfefferspray hilft. Hab alles über eBay bekommen. Magst du eins? Wir könnten beide eins tragen!«
Er klang so enthusiastisch, dass ich mich am liebsten auf der Toilette versteckt hätte. Das Tuch war schon bescheuert genug, aber ich hatte echt keine Lust, mit ihm im Partnerlook rumzulaufen. »Das passt schon«, meinte ich. »Ich steck’s erst mal in die Tasche. Du weißt schon, für den Fall der Fälle.«
»Cool«, erwiderte er so enttäuscht, dass ich das Tuch mit größtmöglicher Andacht zusammenfaltete und in meiner Hosentasche verstaute. Wer wusste schon, ob ich es nicht noch zum Naseputzen brauchen konnte – oder zum Blutabwischen.
Ich konnte den Protest schon lange hören, ehe ich ihn sah – den unverkennbaren Lärm von Trommeln und Trillerpfeifen. Etwas in mir regte sich bei diesem Klang, erinnerte mich an das Open Air Konzert von Xnet im Dolores Park, den Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz danach. Doch Liam fühlte sich sichtlich inspiriert, als wir aus der BART traten, und begann sogar, ein bisschen auf und ab zu hüpfen, wie beim Pogo. An den Straßenrändern standen Streifenwagen, und auf den Gehwegen drängten sich grobschlächtige Bullen, von deren Gürteln demonstrativ dicke Bündel von Handfesseln aus Plastik baumelten. Allesamt hatten sie Schutzbrillen in die Stirn geschoben und trugen Masken um den Hals – für das Tränengas. Und tatsächlich sah ich jetzt schon Polizisten mit Kanistern auf dem Rücken und Schläuchen an der Seite, bereit für den Einsatz. Ich vermied Blickkontakt mit ihnen, aber ihre Körpersprache verriet, dass sie mir und Liam nur umso größere Aufmerksamkeit schenkten. Ich fragte mich, ob das Guy-Fawkes-Tuch um Liams Hals vielleicht dazu beitrug.
Der Bereich vorm Rathaus war voller Zelte, auf denen noch die Slogans der letzten Besetzung prangten. Für die Demonstranten blieb nicht viel Platz, von daher standen sie bis auf die Straße und hielten handgeschriebene Schilder hoch. Themen waren Studienkredite, Korruption und Arbeitslosigkeit. Aus den Nachrichten wussten wir von Obdachlosencamps, die schon mehrfach verlegt worden waren, und weite Abschnitte der Shotwell Street hatten sich bereits in eine Zeltstadt verwandelt, in der sich die Matratzen und Kartons stapelten. Eine große Werbetafel bei der BART -Station auf der Powell Street pries mit den Worten »Sicherheit durch Vereinnahmung« die Dienste einer Firma an, die ihre Mitarbeiter in aufgegebene oder geräumte Gebäude schickte, um Hausbesetzer draußen zu halten.
Seitlich von uns war eine Frau auf den Betonsockel einer Laterne gestiegen. Sie hatte sich die grellen rosa Dreadlocks abgeschnitten und wirkte dadurch sehr viel älter und gereifter, aber ich hätte Trudy Doo jederzeit wiedererkannt. Die Frontfrau der Band Speedwhores und Gründerin von Pigspleen.net war eine Ikone in San Francisco, und bis ihr Internet Provider letztes Jahr pleiteging, war sie Jolus Boss gewesen. Sie rief: »Mic-Check!«
Die Menschen um sie herum erwiderten den Ruf: »Mic-Check! Mic-Check!« Das war das menschliche Mikrofon , ein Standard der Occupy-Bewegung. Die Leute hatten damit angefangen, weil ihre Städte ihnen keine »Verstärkerrechte« für Megafone einräumen wollten; doch selbst in Städten, wo die Behörden keine dämliche Jagd auf Verstärker machten, zog man diese Art der Infoverbreitung vor. Es war einfach ein gutes Gefühl , wenn sich alle zusammentaten, um sich Gehör zu verschaffen.
»Wir haben die beste Regierung … «
Trudy Doo schrie die Worte mit ihrer rauen Punkrockstimme, sodass man jede Silbe laut und deutlich hören konnte. Die Menge wiederholte, wenn auch unter einigem Gemurre: »Wir. Haben. Die. Beste. Regierung.« Erst die Leute direkt um sie herum, dann die Leute eins weiter, dann die nächsten und immer so fort, in konzentrischen Kreisen bis zum anderen Rand der Menge, die sich nun bis zur Van Ness Ave drängte.
»Die Geld kaufen kann.«
Ringsum brach Gelächter aus, und es brauchte einen Moment, bis es wieder ruhig genug war, die Pointe zu wiederholen.
»Ich war auf unzähligen Treffen wie diesem.
Und wir sagen immer dasselbe.
Manchmal kommt es einem hoffnungslos vor.
Doch wir kommen immer
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