Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
verkaufte, unfreundliches Personal beschäftigte oder die schicken Babykarren dazu neigten, plötzlich zusammenzuklappen und ihre Insassen zu zerquetschen: In jedem Fall kam es billiger, jemanden mit Hearts and Minds zu engagieren (der einem den »Ruf managte«, indem er unzufriedene Kunden wie nervende Jammerlappen dastehen ließ) als irgendwas an dem Mist zu verbessern.
Die Broschüre gab damit an, dass Hearts and Minds sogar billiger als die Fünfzigcentarmee sei – jene Legion gekaufter Kommentatoren, mit denen die chinesische Regierung jeden schlechtmachte, der sich öffentlich über Korruption und andere Missstände beschwerte. RedCoat machte sich sogar darüber lustig, wie ineffizient es doch war, ungebildeten Rowdys fünfzig Cent pro Schmähung zu bezahlen.
Hearts and Minds ermöglichte einem Einzelnen, sich als Dutzende auszugeben. Und plötzlich hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie es kam, dass allerorten behauptet wurde, die Darknet-Docs seien der letzte Mist, bloß Fake und nicht der Rede wert. Und ich fragte mich, wie viel ich eigentlich nur deshalb für »wahr« hielt, weil irgendein Ekel mit einer Sockenpuppenarmee und Hearts and Minds dafür gesorgt hatte. Es war ein hässlicher Gedanke.
Ich arbeitete eine Weile an unserer Tabelle im Darknet und versah die Dokumente zu Hearts and Minds (das für mich noch immer »Hierz and Minds« war) mit Tags und Verweisen. Jetzt, da wir die Dokumente öffentlich gemacht hatten, war diese Tabelle wichtiger denn je, denn sie war der einzige Index zu unserer Schatztruhe. Wir verwendeten zum Editieren nicht mehr individuelle ID s, sondern einen gemeinsamen Admin-Account; es war aber wichtig, dass niemand außer uns Zugriff auf die Tabelle hatte und keiner sie mit wilden Verschwörungstheorien verunstalten konnte (von denen hatten wir selbst schon genug). Mittlerweile hatten wir auch um die 3000 Dokumente erfasst, womit nur noch, na ja, ungefähr 800000 übrig blieben. Es würde also eine Weile dauern.
Danach warf ich mich aufs Bett und schaffte es kaum noch, die Schuhe auszuziehen. Doch schon wenige Stunden später fuhr ich aus klaustrophobischen Albträumen hoch. Mein Mund war trocken und schmeckte nach dem Ingwer aus der Pho-Suppe. Ich schlurfte ins Bad, stürzte eine Tasse Wasser runter, wusch mir das Gesicht und putzte mir die Zähne. Danach ging ich zurück ins Bett, legte meinen Kopf aufs Kissen und schloss die Augen. Nur wollte sich der Schlaf einfach nicht mehr einstellen. Wieso machte sich jemand die Mühe, mich auf Hearts and Minds hinzuweisen? Als könnte ich persönlich was dagegen unternehmen!
Es war einfach dämlich, und jedes Mal, wenn ich kurz vorm Einschlafen war, packte mich wieder die Wut darüber, dass diese Spacken mich extra angerufen hatten, bloß um mir mitzuteilen, dass ich im Fadenkreuz extrem mächtiger, gut ausgerüsteter Gegner stand, die mir haushoch überlegen waren. Na toll, als ob ich das nicht schon gewusst hätte.
Nicht schlafen zu können war ziemlich scheiße. Ich brauchte Schlaf. Ich hatte morgen viel Arbeit vor mir – Dienstag wollte ich dann den von Joe angebotenen freien Tag nehmen – und brauchte einen klaren Kopf. Und ich hatte schon so lange nicht mehr richtig durchgeschlafen, dass ich mir allmählich wie ein lebender Toter vorkam. Je mehr Sorgen ich mir deshalb machte, desto schwieriger wurde es natürlich abzuschalten. Schließlich zählte ich langsam von 100 nach unten. Bei jeder Zahl atmete ich tief durch und suchte nach dem Ort, an den ich mich im Tempel beim Burning Man zurückgezogen hatte. Und ich war auch fast schon dort, als mir folgender Gedanke kam: Wenn all die negativen Posts von derselben Software gesteuert werden, gibt es vielleicht auch einen Weg, das automatisch herauszufinden – man muss nur nach irgendeinem Fingerabdruck, einer Signatur, einem Erkennungszeichen suchen. Einen Moment lang begann ich die Umrisse eines Plans, eines Programms zu erahnen, mit dessen Hilfe man die Posts von Hearts and Minds analysieren und nach Gemeinsamkeiten suchen könnte, dann übermannte mich endlich der Schlaf mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Ich versank an einem tiefen, dunklen, traumlosen Ort, bis mich mein Wecker nur wenige Stunden später wieder nach oben zerrte.
Liam wirkte noch immer ein wenig geknickt, als er an meinen Schreibtisch kam, doch in seinem Blick stand wieder die alte Verehrung, die mir so schrecklich unangenehm war.
»Magst du demnächst vielleicht Mittagspause
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