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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Ich hatte ihn darauf hingewiesen, dass er wie ein Zeitreisender aus den Neunzigern klang, wenn er am Ende seiner Reden immer http-doppelpunkt-doppelslash-joe-noss-for-california-senate-punkt-com buchstabierte. Zumal jede Suchmaschine seine Seite bei Eingabe seines Namens als die ersten drei Treffer brachte.
    »Danke.«
    Er erntete einen Menge Applaus im Occupy-Stil – überall waren wedelnde Hände zu sehen – , und als er vom Autodach stieg, war er sofort von Menschen umringt. Er bedankte sich beim Besitzer des Autos, und der fiel ihm spontan um den Hals, schließlich waren wir in Kalifornien! Joe nahm es gelassen und klopfte ihm herzlich auf den Rücken.
    »Das war eine bemerkenswerte Erfahrung, Marcus«, sagte er. »Vielen Dank.«
    »Du hast das toll gemacht«, erwiderte ich und kam mir etwas albern dabei vor, als kleines Licht einen solchen Profi wie ihn für seine Rede zu loben, doch er schien sich einfach nur zu freuen.
    Wir unterhielten uns noch eine Weile, dann hielt eine Frau eine Rede über ihre Studienkredite, die mit Säumniszuschlägen auf mittlerweile über 200000 Dollar angestiegen waren, und das nur, weil ihre Bank eine ihrer Zahlungen falsch gebucht hatte. Es folgten weitere Reden, und langsam kriegte ich Hunger. Ange hatte etwas Pizza in Alufolie dabei, also zogen wir uns kurz zurück und aßen. Als wir wieder zu Lemmy stießen, war Joe nicht mehr da.
    »Er meinte, er wolle mal schauen, was hier sonst noch los ist«, sagte er. »Scheint ein guter Typ zu sein.«
    »Ist er auch«, erwiderte ich nicht ohne Stolz darauf, dass ich es gewesen war, der die beiden einander vorgestellt hatte.
    Mengen haben ihre Launen, genau wie Menschen, und diese Launen sind oft mehr als die Summe der Einzelstimmungen. Man kann zwar glücklich und zufrieden in einer wutschnaubenden Menge sein – aber nicht lange, denn entweder geht man irgendwann wieder oder wird selbst wütend.
    Bei unserer Ankunft war die Menge noch fröhlich gewesen, wenn auch etwas nervös. Als sie im Laufe des Tages immer weiter anschwoll, wuchs die Erregung, und es schlichen sich Gefühle von Mann-ist-das-zu-fassen und Wir-sollten-doch-was-tun und Wie-lange-kommen-wir-damit-noch-durch? ein.
    Lemmy, Ange und ich kamen ganz schön rum. Erst drangen wir weiter in die Menge vor, dann folgten wir unseren Coptern zu Orten, wo sie etwas Interessantes entdeckt hatten. An einer Stelle spielte eine Blaskapelle Ragtime, und die Leute tanzten und johlten; andernorts produzierte eine Gruppe Trommler eine gewaltige, polyrhythmische Klangmauer; und immer wieder sprachen Redner von improvisierten Bühnen via menschliches Mikrofon. Eine besonders interessante Rede widmete sich der Zentralbank, es wurde aber auch eine eher peinliche Verschwörungstheorie vorgebracht, die der Regierung die Schuld an der Zerstörung der Bay Bridge gab. Der Redner behauptete, er sei am Wiederaufbau beteiligt gewesen. Man habe ihn quasi-offiziell angewiesen, nichts aufzubewahren, was auf die wahren Rädelsführer der Anschläge hindeuten könne.
    Ich hatte diese Theorie schon ein paarmal gehört, und sie passte einfach hinten und vorne nicht – es klang nach etwas, an das man bloß glaubte, wenn man nach einem Grund dafür suchte, der Regierung zu misstrauen. Dafür brauchte ich aber keinen Extragrund.
    Ich musste nicht über den unwahrscheinlichen Fall spekulieren, dass Menschen in Regierungskreisen die Bay Bridge in die Luft gejagt hatten – ich wusste auch so, dass viele von ihnen nur auf die Gelegenheit warteten, einen Polizeistaat zu etablieren. Ich misstraute der Regierung, weil San Francisco binnen weniger Stunden nach dem Anschlag zum Polizeistaat geworden war. Und das hieß entweder, dass irgendein genialer Bösewicht die Anschläge verübt hatte, um seine autoritätsverliebten Schlägertrupps loszuschicken, oder eben, dass man nur darauf gewartet hatte, dass irgendwas passierte, damit man seine Pläne aus der Schublade holen und den Menschen, die gerade ohnehin die schlimmste Zeit ihres Lebens durchmachten, seine Gangster auf den Hals hetzen konnte.
    Vielleicht bin ich ein Skeptiker, aber ich finde die Vorstellung, dass sich jemand in so einer Situation denkt: »Prima, sie liegen am Boden, jetzt kriegen wir sie dran!« fast noch schlimmer, als die Katastrophe selbst zu planen. Von daher sehe ich keinen Sinn darin, die Sache mit der Bay Bridge als »Inside Job« darzustellen. Ich finde es viel schlimmer, wenn es keiner war.
    Während ich noch mit Ange darüber diskutierte,

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