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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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Geht was anderes machen! Nur das war gemeint.
    »Ihr Polizisten könnt jetzt gehen!«
    Der Bulle machte kehrt und marschierte langsam davon, das Kinn hoch erhoben, die Schultern gerade. Obwohl er gerade noch drauf und dran gewesen war, mich mit Pfefferspray anzugreifen, tat er mir einen Moment lang fast leid. Seine Autorität war alles, was er hatte, und die hatten wir ihm genommen. Jetzt war er bloß noch ein Mann, der sich mit seiner Uniform für eine bestimmte Rolle, die des Ordnungshüters, kostümiert hatte – so wie sich kleine Jungs gern verkleiden, um Soldat zu spielen. Nur hatte er in dieser Rolle versagt und musste sich von den »Zivilisten« zurückziehen, deren Herr und Meister er doch hätte sein sollen.
    Schall ist eine Druckwelle mit einer bestimmten Amplitude und Frequenz. In dünner Luft gibt es nicht viele Moleküle, die die Welle weitergeben könnten, von daher breitet sie sich auch nur langsam aus und verebbt rasch. In dichteren Substanzen jedoch – Metall, Gestein oder Wasser – breitet sich Schall sehr viel schneller und weiter aus, weil die Druckwelle einfach viel mehr hat, in dem sie sich fortpflanzen kann.
    Auch wir waren sehr dicht gepackt, und unsere Ideen wanderten wie Schall durch einen Stahlträger. »Ihr Polizisten könnt jetzt gehen« zog Kreise wie das Wasser in einem Teich Ringe, wenn man einen Stein hineinwirft. Die Menge wankte Richtung Market Street: Schritt für Schritt. Nach einem Tag, an dem wir unsere Kräfte gesammelt hatten, waren wir nun unterwegs. Wir würden losziehen.
    Ange ergriff meine Hand, und ich legte Lemmy den Arm um die Schultern. Wir mussten aussehen wie Dorothy, die Vogelscheuche und der Blechmann, die sich anschicken, den gelben Ziegelsteinweg zu betreten. Ein weiterer Schritt. Ihr Polizisten könnt jetzt gehen – und wir können das auch. Noch ein Schritt.
    Es gab nur eine kurze Vorwarnung – Gerangel, wütende Rufe, ein Ellbogen in meinem Rücken, als jemand hinter mir nach vorne gestoßen wurde – , dann hatte mich der Greiftrupp auch schon geschnappt.
    Zuerst war da nur ein Durcheinander von Händen, starken Händen, überall an meinem Körper. Dann nahm mich ein kräftiger Arm in den Schwitzkasten und packte fest zu, würgte mich so stark, dass ich absolut keine Luft mehr kriegte. Die Hände zwangen meinen Arm auf den Rücken und verdrehten ihn in einem schmerzhaften Kampfsportgriff. Es fühlte sich an, als würde er mir gleich aus der Schulter gerissen.
    Gleich darauf schnitten sich Plastikfesseln tief in mein linkes Handgelenk, und ich hätte geschrien, wenn ich denn genug Luft gehabt hätte. Stattdessen schlug ich wild um mich, während sich ein dunkelroter Schleier am Rand meines Gesichtsfelds ausbreitete. Ich hörte Ange und die anderen aufschreien und wurde kurz von den Füßen und hierhin und dorthin geworfen.
    Dann lag ich am Boden und schnappte nach Luft. Die Hände waren verschwunden. Ange war bei mir und zog mir mit zitternden Fingern Schutzbrille und Maske übers Gesicht. Ich wollte ihr helfen und sah, dass die Fessel noch immer an meinem linken Handgelenk hing – aber nicht an meinem rechten. Ich kämpfte mich auf die Beine und meinte, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Neben mir stand Lemmy, mit zerrissener Jacke. Er hatte eine hässliche Schwellung und etwas Blut auf der Wange. Eine Hand presste er auf die Wunde, mit der anderen bedeutete er mir mit hochgestrecktem Daumen, dass alles okay war.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Du wurdest gerade ent-haftet«, erklärte Ange trocken. Ich schaute mich um: Ein Typ mit wilden Dreadlocks neben mir trug nun eine Gasmaske, wie die Polizei sie verwendete, dazu einen taktischen Einsatzschild. Eine kleine Frau daneben hatte einen Polizeihelm auf. In der Menge weiter hinten konnte ich weitere Helme ausmachen.
    »Was haben sie mit den Bullen angestellt?«
    Lemmy zuckte die Schultern. »Nicht viel. Haben ihnen bloß ihre Sachen abgenommen, dann mussten sich die Bullen zurückziehen. Keine Sorge, niemand hat jemanden von denen zusammengeschlagen oder so.«
    Wir waren immer noch unterwegs. Die Menge tat einen weiteren wackligen Schritt Richtung Market Street. Die Maske über dem Mund erschwerte mir das Atmen, und meine Brille war beschlagen. Ich wollte sie gerade abnehmen und putzen, als uns das Gas traf.
    Sie versprühten es aus beinahe unsichtbaren und fast lautlosen schwarzen Ballons, die sich wie kleine Spielzeugzeppeline mit surrenden Elektromotoren fortbewegten. Im Noisebridge hatte

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