Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ehemaligem Essen und giftigen Chemikalien ausgerutscht. Dann gewann ich mein Gleichgewicht wieder und tat einen weiteren Schritt zurück. Knotenkopf hatte mich noch nicht entdeckt. Er trug zwar nicht seine schwarze Einsatzkleidung, doch die großen Taschen seiner Jeans waren prall gefüllt, und auch auf Taillenhöhe wölbten sich mehrere Gegenstände unter der Jacke.
Noch ein Schritt zurück. Argwöhnisch schaute ich mich um. War Knotenkopf allein hier? Hatte er denn nicht Timmy dabei? Es schien mir unwahrscheinlich, dass das Unternehmen Zyz seine Handlanger auf eigene Faust losziehen ließ. Ich blickte mich um in diesem Meer der Angst und Panik, suchte in der Menge nach Timmy, fragte mich, ob er vielleicht eine Perücke oder Verkleidung trug. Ich konnte ihn nirgends finden. Dafür entdeckte ich Lemmy, der gerade einem älteren Mann half. Der Mann hinkte und musste sich auf Lemmy stützen. Ich bewegte mich schon auf ihn zu, als jemand nach meiner Hand griff. Einen herrlichen Moment lang dachte ich, Ange hätte sich an mich herangeschlichen – irgendwie konnte ich spüren, dass es die Finger einer Frau waren.
Dann aber packten die Finger meinen Daumen und stellten irgendetwas äußerst Schmerzhaftes damit an. So schmerzhaft, dass ich den Kopf zurückwarf. Ich schrie auf, doch der Schrei wurde von meiner Maske erstickt. Ich versuchte, mich von diesem schrecklichen Schmerz loszureißen, doch das machte es nur noch schlimmer. Es war wie ein Schraubstock. Unter Qualen drehte ich mich um und stellte mich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wer mich da gepackt hielt.
Es war Carrie Johnstone. Sie sah aus wie die typische Sitcom-Hausfrau beim Einkaufen: Jogginghosen, Sweatshirt mit Uni-Logo, Haare mit einem Gummi zurückgebunden. Es war eine derart effiziente Verkleidung, so grundlegend verschieden von ihrer üblichen unbarmherzigen Erscheinung, dass ich zuerst gar nicht darauf kam, wo ich dieses strenge Gesicht schon einmal gesehen hatte. Als der Groschen dann fiel, musste ich keuchen. »Hallo, Marcus«, sagte sie und lockerte den Griff um meinen Daumen gerade so viel, dass ich nach Luft schnappen und mich kurz konzentrieren konnte. Dabei behielt sie mich sorgsam im Blick, und als sie sich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher war, griff sie mit ihrer anderen Hand unter ihr Sweatshirt und zog ein kleines, militärisch wirkendes Gerät hervor. Es war schwarz und hatte an einem Ende einen Pistolengriff, am anderen zwei kleine Zacken. Ein Taser.
»Ich würde es vorziehen, den Elektroschocker nicht zu benutzen«, sagte sie. »Weil ich dich dann nämlich tragen müsste. Das wäre auffällig. Und vielleicht würdest du mir runterfallen. Das möchtest du doch nicht. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?« Ich nickte und schluckte unter meiner Maske. Sie ließ den Taser wieder verschwinden. »Kluger Junge. Und jetzt komm mit. Wir müssen hier weg.«
Inzwischen war es Nacht, und während sich die Leute noch auf die Beine kämpften, brach immer wieder Chaos aus, denn natürlich stießen sie im Dunkeln ständig aneinander. Manche weinten, manche schrien, manche übergaben sich. Immer wieder hörte ich jemanden »Mic-Check« rufen, gefolgt von ein paar schwächlichen Echos – der Versuch einiger Leute, wieder Ordnung herzustellen. Doch von diesen Inseln hielt sich Carrie Johnstone fern. Sie stieß mich vor sich her wie einen Rammbock und umklammerte immer noch meinen Daumen, auch wenn sie ihn nicht mehr verdrehte. Stattdessen zog sie ihn einfach nach hier und nach dort und lenkte mich damit wie mit einem Joystick.
Irgendwo hinter uns konnte ich hören, wie die Polizei die Leute über Megafon dazu aufrief, sich hinzusetzen und die Hände auf den Kopf zu legen. Johnstone fluchte und stieß mich schneller voran.
Die nächtlichen Szenen zogen wie durch einen Nebel an mir vorüber, doch ein Gedanke ließ mich nicht los: Carrie Johnstone und Knotenkopf waren in der Menge gewesen und hatten wahrscheinlich nach mir gesucht. Das hieß, der HERF -Impuls hatte sie genau wie uns erwischt. Zwar standen sie auf diesen ganzen Military-Tech-Schnickschnack, aber waren sie auch schlau genug gewesen, ihn in Faraday-Beuteln zu verstauen? Johnstone hatte behauptet, sie wolle mich nicht tasern, weil sie mich dann tragen müsse, aber wäre es wirklich ein Problem für sie gewesen, mich aus der Menge zu schleppen? War das tatsächlich so auffällig? Ich wäre jede Wette eingegangen, dass sie einen Wasserbüffel hätte stemmen können.
Die
Weitere Kostenlose Bücher