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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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unserer, viele Verzögerungen. Mehrmals mussten wir anhalten. Die Fahrt kam mir wie Stunden vor, und meinen Schultern und Armen wie eine kleine Ewigkeit. Ein paarmal döste ich ein, wobei ich einmal den Typen mit dem gebrochenen Arm stieß, dessen Wimmern schlimmer als jeder Schrei war.
    Wir erreichten unser Ziel bei Sonnenaufgang: ein unscheinbares Gebäude, das wie eine Lagerhalle wirkte, aber voller Bullen war. Sie holten jeweils zwei von uns im Abstand von zehn oder zwanzig Minuten aus dem Bus. Hier würden sie uns wohl erkennungsdienstlich »behandeln«. Die Leute, die nicht mehr laufen konnten, ließen sie am längsten auf ihren Plätzen. Zwei kräftige Bullen schleppten mich wie einen Müllsack aus dem Bus, dann gingen sie meinen Sitznachbarn holen. Wieder rief ich, dass er ärztliche Hilfe brauche, doch sie taten einfach so, als ob sie nichts hörten.
    Keiner interessierte sich dafür, dass ich an den Füßen gefesselt war, und keiner machte Anstalten, mich zu befreien. Erst wurde ich draußen auf einen Stuhl vor einem Klapptisch gesetzt, wo ein paar verschlafene Bullen mit stoßsicheren Laptops – die aber nicht annähernd so cool und militärisch wie die von Timmy und Knotenkopf waren – meine Fingerabdrücke nahmen. Dann scannten sie noch meine Retina, nahmen eine Speichelprobe für einen DNA -Test und notierten meinen Namen, meine Adresse und Sozialversicherungsnummer. Ich sagte ihnen, dass ich keine weiteren Fragen beantworten würde. Ich sagte ihnen, dass ich einen Anwalt wollte. Ich sagte ihnen, dass ich aufs Klo musste. Ich fragte sie, weshalb man mich festhielt. (Ich hatte das alles zwar zigmal geprobt, doch in Fesseln fiel es schon bedeutend schwerer als daheim vor dem Spiegel, wenn ich beim Gedanken an eine etwaige Verhaftung mal wieder meine fünf Minuten hatte – »Magenflattern«, wie Mom das nannte.)
    Die Bullen waren nicht sehr beeindruckt. Ihre Reaktion, in der entsprechenden Reihenfolge, lautete: »Wie schreibt sich Yallow?«, »Mehr wollen wir auch gar nicht wissen«, »Nachher«, »Nachher« und »Belästigung der Allgemeinheit und Landfriedensbruch«.
    Dann brachten sie mich nach drinnen in einen kalten, hell ausgeleuchteten Raum, der früher vielleicht das Büro des Vorarbeiters gewesen war, und durchsuchten mich. Wenigstens nahmen sie mir dafür endlich die Fesseln ab. Ich rieb mir die Gelenke und gab mein Möglichstes, nicht zu winseln, als das Blut endlich wieder richtig zu zirkulieren begann. Mit mir waren noch fünfzehn oder zwanzig andere Kerle da drin, und wir vermieden es, einander anzusehen, als wir uns erst splitternackt ausziehen und dann zitternd abwarten mussten, während die gelangweilten Bullen der Reihe nach unsere Kleider durchwühlten. Sie trugen Einweghandschuhe, als ob wir uns Ungeziefer oder einen Virus eingefangen hätten. Dann schauten sie uns in die Achselhöhlen, unter die Hoden, in unsere Ärsche. Es war eine der schlimmsten Demütigungen, die ich je erlebt hatte, vielleicht gerade, weil alles so unbeteiligt und klinisch vonstattenging. Diese Leute hatten gar nichts gegen uns persönlich. Sie hätten ebenso gut auch für die Gesundheitsbehörde arbeiten und Fleisch auf dem Weg zum Markt inspizieren können.
    Schon komisch, wie philosophisch man werden kann, wenn man sich durchgefroren, nackt und verängstigt in Polizeigewahrsam befindet. Hätte man mich vorher gefragt, was ich von diesen Leuten hielt, hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass ich sie hasste und sie alle als rückgratlose Feiglinge einschätzte; Verräter an der Menschheit, die davon lebten, die Interessen der Reichen, Korrupten und Mächtigen gegenüber den übrigen Leuten zu verteidigen. Ich hatte mit ansehen müssen, wie sie Gewaltakte verübten und starrend vor (angeblich) nichttödlichen Waffen wie Supersoldaten aus einem Science-Fiction-Film auf einer friedlichen Demo anrückten, um Menschen, die Angst hatten und von der Welt schon genügend verunsichert waren, wie Ungeziefer zu behandeln.
    Doch da waren wir nun: zwei Gruppen von Menschen in einem kalten Raum, die eine nackt, die andere in übertriebenen Halloweenkostümen, und keiner von uns wollte eigentlich hier sein. Wir spielten bloß die Rollen, die uns irgendeine seltsame, nicht greifbare Autorität – »das System« – zugedacht hatte. Es war offensichtlich, dass die Bullen viel lieber woanders gewesen wären und was anderes gemacht hätten – ganz egal, wo, ganz egal, was. Doch hier waren sie und schauten uns in die Ärsche, um

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