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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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noch weiter reduzierte. Irgendwann fiel mir aber auf, dass es stiller und leerer war als zuvor. Es gingen mehr Leute hinaus als neue hinzukamen; und sie kehrten auch nicht mehr zurück. Also gingen sie irgendwohin – wahrscheinlich telefonieren oder zum Verhör.
    Schließlich kamen zwei Polizisten, um auch mich zu holen. Sie durchschnitten meine Fußfesseln, damit ich laufen konnte. Als ich sah, dass fast alle Zellen weiter vorne leer waren, keimte etwas Hoffnung in mir auf. Mein Magen knurrte mittlerweile, und meine Kehle war völlig ausgetrocknet.
    Sie brachten mich in dasselbe Büro wie zuvor. Eine ältere schwarze Polizistin nahm abermals meine Fingerabdrücke, las sich etwas auf einem Bildschirm durch, tippte, sprach aber kein Wort. Eigentlich war es ganz gut, dass sie nichts sagte, weil ich nämlich immer öfter zu vergessen begann, dass ich gar nichts sagen würde, solange ich keinen Anwalt dabeihatte.
    Dann nickte sie meiner Eskorte zu, worauf die Männer meine Arme packten und mich zur Ausgangstür brachten. Dort fand ich mich in kaltem grauen Tageslicht und einem leichten Nieselregen wieder. Tausende von Menschen standen mit Schildern auf der anderen Straßenseite und skandierten Parolen. Die Polizisten führten mich noch bis zur Straße, dann ließen sie mich los.
    »Das war’s«, sagte der eine.
    »Was?«, fragte ich.
    »Zisch ab«, sagte der andere. »Das war’s.«
    »Und was ist mit der Anklage?«
    »Was für einer Anklage? Willst du angeklagt werden?«
    Nach allem, was passiert war, ließen sie mich jetzt einfach gehen. Am liebsten hätte ich laut gerufen: »Ja verdammt, ich will, dass ihr mich anklagt! Was ist denn das hier sonst gewesen? Eine Entführung?«
    Die Leute mit den Schildern auf der anderen Straßenseite waren ganz schön sauer. Jetzt verstand ich auch, warum.
    »Was für eine Riesenscheiße«, sagte ich mit Inbrunst.
    Die Gesichter der Bullen verfinsterten sich, doch ich wich nicht zurück. Ich hatte zwar eine Scheißangst, aber ich wich nicht zurück. Sollten sie mich doch wieder festnehmen, in Ketten legen, wegsperren, waterboarden, verhören, schuldig sprechen, zu lebenslanger Haft verdonnern. Das war alles eine Riesenscheiße – und ich hatte jedes Recht, das auch auszusprechen.
    Wir starrten uns an wie Hunde, bevor sie aufeinander losgehen. Mir fiel auf, dass die Leute da drüben erst leiser, dann wieder lauter geworden war. Am Rande bekam ich mit, dass haufenweise Handykameras in unsere Richtung gedreht wurden. Die Bullen bemerkten es wahrscheinlich auch. Gleich darauf wandte sich erst der eine, dann auch der andere um und ging davon.
    Ich zitterte. Meine Fäuste hatten sich so verkrampft, dass sich die Fingernägeln an mehreren Stellen in die Haut der Handflächen gebohrt hatten.
    Die Demonstranten klopften mir auf den Rücken. Sie schienen genau zu wissen, wie es mir ging. Ich entdeckte einen Tisch voll mit kostenlosem Essen – jemand hatte massig Linsen, Reis, Sandwiches und Pizzas besorgt – , und mindestens fünf Leute fragten mich, ob ich genug Geld für den Heimweg hätte und einen Arzt bräuchte.
    Ich setzte mich inmitten der dichtgedrängten Menge auf den Bordstein und schaufelte mir gefühlte hunderttausend Kalorien rein. Danach stand ich auf, klopfte mir die schmutzigen Klamotten ab und machte mich auf den Heimweg.
    Irgendwann später kam ich tatsächlich daheim an, auch wenn ich hinterher nicht sagen konnte, wie ich das geschafft hatte.

14
    Mom und Dad standen kreidebleich in der Tür. »Dachte, ihr hättet euch mittlerweile dran gewöhnt«, scherzte ich mit zitternder Stimme, dann schlossen sie mich in die Arme. Sie hatten sich schon gedacht, wo ich war, und ein Anruf auf meinem Handy hatte Gewissheit gebracht: Dalia war rangegangen und hatte ihnen alles erzählt, auch das, was im Bus passiert war. Mom und Dad hatten keine Kosten gescheut und eine Anwältin damit beauftragt, in meiner Sache ordentlich Druck bei der Polizei von San Francisco zu machen, aber das war nur eine von hunderttausend Anwältinnen und Anwälten gewesen, die sich dort Gehör zu verschaffen versuchten. Und so hatten meine Eltern erst von meiner Entlassung erfahren, als ich bereits die Einfahrt hochgestolpert kam.
    Ich wollte hundert Jahre lang duschen, tausend Jahre schlafen. Doch vorher musste ich unbedingt Ange finden.
    »Sie ist schon vor zehn Stunden heimgekommen«, sagte Mom.
    »Ihre Mutter meinte aber, sie sei danach schnurstracks zurück zur Hühnerfarm.« So nannte die Presse unser

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