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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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dass es wehtat. Damit hörte es aber noch nicht auf. Meine Hände wurden wieder hochgerissen, als er mit seltsam zärtlichem Grunzen das Plastik zwischen ihnen packte und sich anschickte, meine Hände und meine Füße mit einer dritten Fessel auf dem Rücken zusammenzubinden. Mein Gehirn war so betäubt, dass ich erst gar nicht wusste, wie mir geschah.
    Ich trat und bockte und schrie etwas. Ich weiß nicht mehr genau, was – vielleicht waren es nicht mal Worte. Nur ein Geheul, ein lautes NEIN aus den tiefsten Tiefen meiner selbst. Wie ein Wurm versuchte ich, am Boden kriechend den Händen meines Peinigers zu entkommen. Die anderen Gefangenen nahmen ihre Füße beiseite, und ich hörte sie den Polizisten, der mich verfolgte, mit Schmährufen eindecken, ein Aufschrei aus Dutzenden von Kehlen.
    Ich erreichte das Gitter am Ende des Busses und krümmte und wand mich, bis ich wieder nach vorn blickte. Der Bulle – ein junger Weißer, dem man mittlerweile den Hut weggeschlagen hatte, ein Gesicht wie ein rachsüchtiger Gott – wollte hinter mir her, doch die übrigen Gefangenen hatten wieder ihre Füße ausgestreckt und bildeten einen Wald voller Beine, durch den er sich erst durchzwängen musste. Er griff nach dem Schlagstock an seinem Gürtel und hatte ihn schon halb gezückt, als er sich eines Besseren besann und seine Hand stattdessen zum Pfefferspray wanderte.
    Er hob es wie eine Flasche Insektenspray und zog sich mit seinen behandschuhten Fingern Maske und Schutzbrille zurecht. Die Gefangenen, die mitbekamen, was er tat, zogen einer nach dem anderen die Beine ein, bis der Weg zwischen ihm und mir wieder frei war.
    Er blinzelte mich an.
    »Schon gut«, sagte ich. »Ich werde mich ruhig verhalten. Sie müssen mich nicht fesseln … «
    Er machte zwei Schritte auf mich zu und reckte mir das Pfefferspray entgegen wie ein Vampirjäger sein Kreuz. Genau wie ein Vampir schrak ich davor zurück. Mein Gesichtsfeld verengte sich ganz auf die Öffnung der Flasche, jenes Viereck mit der kleinen runden Düse darin. »Bitte nicht«, sagte ich. Sein Finger legte sich auf den Druckkopf. Die Flasche war nun nur noch Zentimeter vor meinem Gesicht, direkt auf eine Stelle zwischen meinem Mund und meiner Nase gerichtet.
    »Tom«, rief eine Stimme von vorne im Bus. »Was zum Teufel ist dahinten los?«
    Der Finger des Mannes erstarrte. Er schob die Flasche zurück in die Tasche an seinem Batman-Gürtel und machte auf dem Absatz kehrt. Vor ihm stand ein älterer Bulle, dessen Rangabzeichen ihn als Vorgesetzten des Jüngeren auswiesen. Die beiden berieten sich leise, aber intensiv. Alle Augen im Bus waren auf sie gerichtet, alle Ohren gespitzt. »Tom« wandte mir nun den Rücken zu, und so konnte ich sehen, dass seine Schultern so gespannt wie ein Tennisschläger waren. Anscheinend wurde er gerade gründlich zusammengestaucht. Ich muss gestehen, dass ich mich einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren konnte, aber im Großen und Ganzen machte ich mir immer noch fast in die Hose vor Angst.
    Kurz darauf stieg »Tom« aus, und sein Vorgesetzter marschierte wortlos auf mich zu, packte mich am Arm und schleifte mich zurück zu meinem Platz. Ich versuchte mich aufrecht zu halten und hüpfte auf meinen gefesselten Füßen wie ein hektischer Pinguin. Leidenschaftslos stieß er mich auf meinen Sitz und ging dann ohne ein weiteres Wort davon.
    »Du hättest besser erst die Anwälte angerufen«, meinte der Typ neben mir.
    Ich erwiderte nichts. Die Lichter im Bus gingen aus, dann sprang der Motor an, und wir fuhren davon.
    Während wir mit dröhnendem Motor durch die Nacht holperten, entschuldigte sich das Mädchen bei mir. Die bittere Ironie war, dass sie ihrer Mutter beim Anruf gar nichts Sinnvolles hatte mitteilen können, denn diese war völlig ausgerastet. Dafür war es Dalia – so hieß das Mädchen – gelungen, mein Handy zu retten, nachdem es mir mein Freund und Helfer aus der Hand geschlagen hatte. Sie hatte es geschafft, es in ihren Stiefel rutschen zu lassen, und versprochen, es mir bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder zurückzugeben.
    Ich machte mir keine allzu großen Hoffnungen, gefesselt, wie ich war; aber der Gedanke war dennoch tröstlich. Für den Fall, dass nichts draus wurde, gab ich ihr schon mal meinen vollen Namen. Den Rest konnte sie googeln, sobald wir wieder in Freiheit waren.
    Der Bus fuhr nicht allzu schnell und kam auch nicht gut voran. Vor dem Fenster herrschte ein einziges Verkehrschaos – viele Busse wie

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