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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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leise bis zwanzig.
    »Okay, es hat sich resettet«, sagte sie.
    Ich brauchte sechs Versuche. Nach dem fünften sperrte sich das Handy, und wir mussten zehn nervenaufreibende Minuten warten, bis wir weitermachen konnten. Sicherheit ist schon was Tolles.
    »Okay, geschafft«, sagte sie schließlich. Ich konnte kaum noch meine Hände spüren.
    »Wen rufen wir zuerst an?«
    »Meine Mom«, meinte sie. »Sie kennt haufenweise Anwälte.«
    Es erforderte noch eine Menge Gefummel, bis ich das Tastenfeld am Start hatte, und dann eine gefühlte Ewigkeit, die Nummer ihrer Mutter einzugeben. Wenigstens konnte ich jetzt Backspace drücken, wenn ich mich vertippte.
    »Geschafft!«, sagte sie so laut, dass sich die Leute in unserer Nähe nach uns umdrehten. Ich schloss meine Hand um das Telefon, versuchte es zu verstecken, ohne versehentlich weitere Tasten zu drücken. Wir warteten, bis jeder wieder mit seinem eigenen Elend beschäftigt war. Dann fragte ich: »Okay, wie stellen wir’s an?«
    »Was meinst du?«
    »Ich ruf jetzt deine Mom an, richtig? Wie willst du von da oben mit ihr reden, wenn das Handy hier unten ist?«
    »Oh.«
    »Genau.«
    »Wie hoch kriegst du deinen Arm?«
    Ich probierte es aus. Es tat eigentlich ganz gut, sich etwas zu bewegen und die Knoten in der Schulter zu lockern, doch ich wünschte trotzdem, ich wäre öfter mit Ange zum Yoga gegangen. Das Mädchen – ich kannte immer noch nicht ihren Namen, seltsam, oder? – rutschte ebenfalls herum, bis es ihr irgendwie gelang, mit Nase oder Zunge auf die Ruftaste zu tippen. Dann spürte ich, wie meine Fingerspitzen mit jedem Klingeln vibrierten. Mehrere unserer Mitgefangenen verfolgten das Schauspiel mit einer Mischung aus Belustigung, Hoffnung und Angst. Ich hörte/spürte jemanden am anderen Ende antworten, eine Art Summ-Summ , das meine Finger als Hallo? übersetzten. Das Mädchen flüsterte »Mama?« und begann leise und eindringlich in einer Sprache zu reden, die ich nicht verstand – vermutlich Arabisch. Spricht man das nicht in Ägypten?
    Der Bus war hell ausgeleuchtet, aber seit die letzten Gefangenen hereingebracht worden waren, mussten Stunden vergangen sein. Von daher war der Aufpasser vorne im Bus wahrscheinlich längst eingeschlafen oder abgenervt vor lauter Langweile. Vielleicht war er ja auch nicht besonders hell im Kopf. Jedenfalls verspürte ich ein angenehmes Überlegenheitsgefühl. Die Bullen mochten schwer bewaffnet sein, sie konnten uns verhaften und fesseln, sie konnten uns ins Gefängnis stecken und wegen Verbrechen anklagen, die sie gerade erst erfunden hatten, aber sie konnten uns nicht völlig kontrollieren. Hier waren wir, in der Höhle des Löwen, und gemeinsam war es uns gelungen, einen Kanal nach draußen zu öffnen. Nach all dem Tränengas, der Gewalt und dem Schlafentzug befiel mich nun ein seltsamer Größenwahn, ein Gefühl der Unverwundbarkeit und Unbesiegbarkeit; das Gefühl, es sei mir bestimmt zu gewinnen, weil ich doch tat, was auch der Held in einer Geschichte täte, und letztendlich siegen die Helden da doch immer, stimmt’s?
    Der erste Hinweis auf meine wahre Verwundbarkeit und Machtlosigkeit war, dass sich die Augen sämtlicher Gefangenen im Bus auf einmal gleichzeitig weiteten. Sie waren so entsetzt, dass es schon komisch wirkte, so als ob sie alle irgendwie miteinander verwandt wären, Cousins und Cousinen mit derselben genetisch bedingten Angst.
    Der nächste Hinweis war der Aufschrei des Mädchens hinter mir, und der letzte folgte eine knappe Sekunde darauf: Das Handy wurde mir aus der Hand geschlagen, jemand mit Handschuhen packte mich bei den Gelenken und riss mir die Arme so rasch nach oben, dass ich kaum mitgehen konnte und mich beim Versuch, dem schrecklichen Reißen in meinen Schultern zu entkommen, fast überschlug. Ich prallte mit der Stirn auf dem Boden auf, was ziemlich wehtat.
    Dann war plötzlich ein Gesicht neben mir, so nahe, dass ich die Zähne klicken hörte und Kaugummiatem roch. »Keiner hier mag Klugscheißer, Kleiner«, sagte mein Folterknecht. Dann ließen die Handschuhe mich los, meine Arme schnellten zurück, meine Fäuste fielen mir auf den Hintern, und ich wimmerte vor Schmerzen, während ich noch immer mit dem Gesicht auf dem schmutzigen Boden des Busses lag.
    Ehe ich wieder Atem schöpfen konnte, hatten die Hände meine Füße gepackt, und der vertraute, schreckliche Klang von Plastikfesseln zerriss die Luft. Der Bulle zurrte sie erst um den einen, dann den anderen Knöchel fest, so eng,

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