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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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dem ich gar nicht geahnt hatte, dass ich es in mir trug. Ich hatte es rausgelassen, es war zum Himmel gestiegen, doch es war nichts zurückgekommen. Kein Gefühl irgendeiner Präsenz. Kein Gefühl, dass mir irgendwer zuhörte oder mich gar verstand. Ich hatte zum Universum gesprochen, doch dem Universum war das scheißegal. In jener Nacht hörte ich damit auf, mir wegen meiner »Versicherungsbeiträge« einen Kopf zu machen, verlor das beängstigende Gefühl, dass ich vielleicht besser zu Allah beten oder mich auf meine Bar-Mizwa vorbereiten oder den Hare Krishnas beitreten sollte. Binnen einer Stunde hatte ich mich von einem besorgten Agnostiker zu einem unbeschwerten Atheisten gewandelt, und daran hat sich seitdem auch nichts mehr geändert.
    Jetzt, in Joes Büro, sprach ich wieder in die leere Luft, sandte meine Worte ins Universum hinaus.
    Doch diesmal gab das Universum mir Antwort.
    >uuuhhh aufgeflogen
    Unsichtbare Hände hatten meinen Mauszeiger auf das LibreOffice-Icon bewegt und lautlos ein neues Textdokument auf meinem Schirm geöffnet. Es war so gespenstisch, dass sich mir alle Nackenhärchen aufstellten und mir ein Schauer über den Rücken lief. Ich gab mir Mühe, ein Pokerface aufzusetzen und ungerührt in die Webcam zu schauen, während meine schlimmsten Ängste Wirklichkeit wurden.
    Ich wollte irgendetwas sagen oder tun, doch mein Mund schmeckte wie voller Asche, und meine Hände auf dem Tisch zitterten.
    > du machst dir zu viele sorgen, alter
    Ich zwang meine Arme, sich zu bewegen, schaffte es, den Deckel des Laptops zu greifen, dann schlug ich ihn mit aller Kraft zu und sprang auf, wobei ich den Stuhl umstieß. Da stand ich nun, mitten in Joes Büro, zitternd und mit Gänsehaut am ganzen Körper, und alles, woran ich denken konnte, waren all die anderen Computer im Raum mit ihren Webcams und die fernen Geisteraugen, die mich durch sie beobachteten.
    Ich unterdrückte den Impuls, einfach wegzurennen, und ging stattdessen mit steifen Schritten zum Verteilerraum. Mein Instinkt verlangte, dass ich die Internetverbindung des Gebäudes mit bloßen Händen aus dem Router riss und uns in eine lichtlose Insel im schimmernden Gespinst des planetaren Netzwerks verwandelte. Doch als ich dann in dem kleinen Zimmer mit seiner lauten Belüftung, seinen Server-Racks, Switches und Routern vor der massigen, störungsfreien Stromversorgung stand, beruhigte ich mich langsam und bekam wieder Luft. Klar, auch hier gab’s jede Menge Rechner, aber keine Kameras und Mikros – bloß ein altes Keyboard, das wie ein kleines Maschinengewehr klackerte, und einen 9-Zoll-Monitor, auf dem sich schon die Umrisse der Passworteingabe eingebrannt hatten. Alles in diesem Raum war mir vertraut, sicher und auf beruhigende Weise technisch. Hier drinnen war ich für die Webcams unsichtbar. Hier konnte ich die Router dazu bringen, jedes Paket, das unser Gebäude erreichte oder verließ, mitzuloggen, selbst wenn man mit diesen Logs ganze Bibliotheken füllen könnte. Von hier aus konnte ich vielleicht eine Falle stellen.
    Der Laptop stand auf meinem Tisch, das Dokument starrte mir entgegen:
    > du machst dir zu viele sorgen, alter
    »Bist du noch da?«
    Hörst du mich, Gott? Ich bin’s, Marcus. Ein hysterisches Kichern stieg in mir hoch, doch ich verkniff es mir.
    Nichts. Nur das Summen der Ventilation. Im Verteilerraum schrieb der Router ein paar Millionen Extra-Bits in seinen Solid-State-Speicher und erzeugte dabei ein bisschen mehr Hitze als üblich, sodass die Lüftung ein bisschen stärker als sonst arbeiten musste. Ein bisschen mehr CO 2 , das in die Atmosphäre entwich.
    Die Webcam glotzte mich an wie ein Glasauge. Ich fragte mich wieder, wer am anderen Ende wohl saß und wie genau der Trojaner funktionierte. Meldete er jedes Mal, wenn ich mich mit einem Netzwerk verband, dass ich nun online war und gern überwacht werden wollte? Speicherte er auch offline Bilder und Eingaben, um sie bei späterer Gelegenheit abzuschicken?
    Bekam gerade jemand eine diskrete SMS » MARCUS JETZT ONLINE « auf sein Handy? Begleitet von einem fröhlichen Klingelton, »La Cucaracha« vielleicht?
    »Hallo? Ist da wer?«
    Nichts.
    »Kommt schon, ihr Schisser, ich weiß doch, dass ihr da seid.« Jetzt wurde ich die Vorstellung nicht mehr los, dass man mich vielleicht mitschnitt und alles, was ich sagte oder tat, binnen zehn Minuten auf YouTube stehen würde. Ich versuchte, so tough und cool wie möglich zu wirken, damit ich in diesem Moment, in dem ich

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