Little Miss Undercover - Ein Familienroman
nachdem ich vor dem Spiegel tausend Mal ein Pokerface einstudiert hatte, ließ mein Mienenspiel irgendwann nichts anderes mehr zu.Meine Eltern wollten immer ganz genau wissen, mit wem ich mich so rumtrieb. Dad war der Meinung, dass mein pubertärer Hang zu Straftaten direkt mit den Jungs zu tun hatte, auf die ich mich einließ. Mom lag mit ihrer Vermutung richtig, dass der schlechte Einfluss von mir ausging und nicht umgekehrt. Doch während beide sich in Theorien über die Auswirkungen meines Liebeslebens auf meinen Alkoholkonsum sowie meine kriminellen Neigungen ergingen, spekulierte Petra über meine Gewohnheit, jede Art von Langzeit-Beziehung schon im Keim zu ersticken. Ihr zufolge suchte ich mir entweder Männer aus, die absolut nicht zu mir passten, oder ich stellte die Geduld dieser Männer so hart auf die Probe, bis sie mir irgendwann den Laufpass gaben. Ich widersprach ihr. Da regte Petra an, ich sollte eine Liste erstellen und daraus meine Schlüsse ziehen.
Wie schon die Auflistung meiner Kellervernehmungen und ungesühnten Verbrechen ist das Verzeichnis meiner Ex-Freunde 3 eine Art Spickzettel meiner Vergangenheit. Um mich möglichst kurzzufassen, beschränke ich mich auf das Wesentliche: Seriennummer, Name, Alter, Beruf, Hobby, Beziehungsdauer und Letzte Worte (aus welchem Grund wurde die Beziehung beendet?).
Liste der Ex-Freunde:
Ex-Freund Nr. 1
Name: Goldstein, Max
Alter: 14
Beruf: Neuntklässler an der Presidio Middle School
Hobby: Skateboardfahren
Beziehungsdauer: 1 Monat
Letzte Worte: »Hey Alte, meine Mom hat keinen Bock mehr drauf, dass wir zusammen abhängen.«
Ex-Freund Nr. 2
Name: Slater, Henry
Alter: 18
Beruf: Student an der University of California Berkeley
Hobby: Lyrik
Beziehungsdauer: 7 Monate
Letzte Worte: »Du hast wirklich noch nie von Robert Pinsky gehört?«
Ex-Freund Nr. 3
Name: Flannagan, Sean
Alter: 23
Beruf: Barmann im O’Reilly’s
Hobby: Ire sein; Trinken
Beziehungsdauer: 2,5 Monate
Letzte Worte (mit irischem Akzent): »Mehr alsn Guinness ham wir beide nich gemeinsam.«
Ex-Freund Nr. 4
Name: Collier, Michael
Alter: 47 (ich: 21)
Beruf: Philosophieprofessor
Hobby: Studentinnen verführen
Beziehungsdauer: 1 Semester
Letzte Worte: »Das ist akademischer Selbstmord. Ich muss dem ein Ende setzen.«
Ex-Freund Nr. 5
Name: Fuller, Joshua
Alter: 25
Beruf: Webdesigner
Hobby: die Anonymen Alkoholiker
Beziehungsdauer: 3 Monate
Letzte Worte: »Diese Beziehung würde meinen Rückfall bedeuten.«
Ex-Freund Nr. 7
Name: Greenberg, Zack
Alter: 29
Beruf: Besitzer einer Firma für Webdesign
Hobby: Fußball
Beziehungsdauer: 1,5 Monate
Letzte Worte: »Du hast meinen Bruder auf Kreditwürdigkeit überprüft?«
Ex-Freund Nr. 8
Name: Martin, Greg
Alter: 29
Beruf: Graphikdesigner
Hobby: Triathlon
Beziehungsdauer: 4 Monate
Letzte Worte: »Ehe ich noch eine einzige Frage beantworte, springe ich aus dem Fenster.«
Auf die Ex-Freunde Nr. 6 und Nr. 9 komme ich später zu sprechen. Manche Menschen lassen sich einfach nicht karteikartengerecht auf eine Handvoll Daten reduzieren, gibt man sich auch noch so viel Mühe.
Manche Listen lege ich zeitgleich mit den Geschehnissen an, andere erst viel später, wenn ich genug Abstand gewonnen habe, um alles zu bewerten. Doch selbst wenn ich alle übrigen Listen vernichten sollte, muss die folgende unbedingt aufbewahrt werden, denn sie verzeichnet das Ende meiner Terrorherrschaft im Hause Spellman.
Die drei Phasen meiner Quasi-Seelenrettung:
• Das Verlorene Wochenende Nr. 3
• Das Nickerchen in der Eingangshalle
• Die Sache mit dem fehlenden Schuh
Es sticht ins Auge, dass das Verlorene Wochenende Nr. 3 natürlich Teil einer anderen Liste ist. Als ich irgendwann die diversen losen Blätter und Zettel meiner Aufzeichnungen in eine passwortgeschützte Computerdatei übertragen hatte, legte ich eine Tabelle an, um auf einen Blick die Daten abgleichen zu können, die in mehr als einer Liste erfasst sind. Die Liste der Verlorenen Wochenenden nennt insgesamt siebenundzwanzig. Das sind zumindest die, von denen ich Wind bekommen habe. Ich wäre nicht überrascht, wenn es noch weitere gegeben hat.
D ER GUTE ALTE O NKEL R AY
Bevor ich vom neuen Onkel Ray erzähle, muss ich zunächst den alten beschreiben, Onkel Ray, wie er leibte und lebte, bevor auch nur ein einziges Wochenende verlorenging. Beide Rays gehören untrennbar zusammen.
Onkel Ray: der Bruder meines Vaters – drei Jahre älter als er. Auch ein Cop. Genauer:
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