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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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ich mich angezogen und die Tasche gepackt und schaffte es gerade noch zum Wagen, als mein Vater aus der Auffahrt bog. Mein Sprung ins fahrende Auto hätte Bruce Willis in Stirb langsam 1–10 alle Ehre gemacht. Von Ehre blieb aber keine Spur, nachdem ich mich angeschnallt und Dad mir mitgeteilt hatte, dass ich eben nur knapp dem längsten Hausarrest meines Lebens entgangen war.
    Die ersten vier Stunden der Fahrt verschlief ich, die nächsten zwei schaltete ich zwischen allen verfügbaren, durchweg trostlosen Radiosendern hin und her, bis Dad drohte, er würde mir den Arm abreißen und damit auf meinen Kopf eindreschen, wenn ich nicht endlich damit aufhörte. Die letzten drei Stunden redeten wir über sämtliche laufenden Fälle auf der Spellman-Agenda. Der Einzige, der nicht zur Sprache kam, nicht mal für eine Minute, war Onkel Ray. Wir legten eine kurze Lunchpause ein und erreichten Vegas kurz vor sechs am Abend.
    Ohne Rücksicht auf das »Bitte nicht stören«-Schild hämmerte Dad an die Tür von Zimmer Nr. 385 im Excalibur, vermutlich noch lauter als am Morgen gegen meine Zimmertür. Niemand antwortete, und so überredete Dad den Hotelmanager, für uns aufzuschließen. An der Schwelle empfing uns ein wahrer Geruchscocktail – abgestandener Zigarrenrauch, schales Bier vom Vortag und der charakteristische säuerliche Gestank von Erbrochenem. Zum Glück entschuldigte sich der Manager auf der Stelle und erlaubte uns, das Schauspiel alleinzu genießen. Angesichts des mittelalterlichen Ambientes, in dem das Zimmer eingerichtet war, wirkte Onkel Rays Zügellosigkeit wie eine durchaus passende Hommage an König Artus’ Tafelrunde.
    Dad scannte den Raum nach Hinweisen auf Rays gegenwärtigen Aufenthaltsort. Er sammelte einige Papierschnipsel vom Nachttisch, wühlte im Abfall, schaute in den Schränken nach und stürmte dann zur Tür. Im Flur sah er sich nach mir um.
    »Ich muss Ray finden«, sagte er. »Du machst inzwischen dieses Zimmer sauber.«
    »Was soll das heißen, saubermachen?« Ich brauchte eine klare Ansage.
    Dad antwortete so gefühllos und gleichförmig wie eine Computerstimme: »Saubermachen. Verb. Von Dreck befreien. Halbleere Bierdosen vom Fensterbrett räumen und vorschriftsmäßig entsorgen. Überquellende Aschenbecher auskippen. Erbrochenes vom Badezimmerboden wischen. Saubermachen.«
    Ich hatte mir eine andere Definition erhofft. »Hotels bieten neuerdings ganz spezielle Dienstleistungen an, Dad. Ist im Preis inbegriffen und heißt Raumpflege«, erklärte ich in meinem eigenen pädagogischen Ton. Offenbar kam diese Antwort nicht gut an. Dad kehrte ins Zimmer zurück und schloss die Tür hinter sich.
    »Ist dir eigentlich klar, wie schwer diese Leute arbeiten? Weißt du, was für einen Dreck sie jeden Tag zu sehen, zu riechen und zu spüren bekommen? Hast du davon auch nur eine Ahnung?«
    Auf rhetorische Fragen gebe ich prinzipiell keine Antwort. Also ließ ich ihn einfach weiterreden.
    »Onkel Ray ist unser Bier«, sagte er. »Und so machen wir seinen Dreck weg, ob es uns gefällt oder nicht.« Bei diesem letzten Satz bedachte mich Dad mit einem bohrenden Blick und ging aus dem Zimmer. Damit hatte er mich zugleich daran erinnert, dass auch mein Dreck weggemacht werden musste.Damals war ich sechzehn. Auch wenn ich seine Lektion durchaus zur Kenntnis nahm, änderte das nichts an meinem Verhalten. Jedenfalls nicht so bald.
    • Phase 2: Das Nickerchen in der Eingangshalle
    Mit neunzehn war ich immer noch so drauf. Anstatt aufs College zu gehen, heuerte ich bei meinen Eltern an. Mein Arbeitsvertrag sah vor, dass ich eine Wohnung im ausgebauten Dachgeschoss des Spellman-Hauses bezog. Für die Firma war ich nach wie vor ein Trumpf, während ich für die Familie eine ständige Bedrohung darstellte. Die Liste meiner Untaten war in den vergangenen drei Jahren stetig gewachsen, und viele meiner Gewohnheiten – beispielsweise bis weit nach Mitternacht auszugehen und so besoffen nach Hause zu kommen, dass ich meine Schlüssel nicht fand – entzogen sich inzwischen dem Verantwortlichkeitsbereich meiner Eltern.
    An die Nacht vor dem Nickerchen in der Eingangshalle kann ich mich kaum erinnern, von der Tatsache abgesehen, dass ich eine Party besucht hatte und am nächsten Morgen um zehn Uhr mit der Arbeit beginnen sollte. Ich stieg die Stufen zur Haustür hinauf, wühlte in meinen Taschen nach den Schlüsseln und fand keine. Früher war ich in solchen Fällen – die, wie bereits erwähnt, recht häufig eintraten

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