Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Spaß herauszufinden, welchen Dreck andere am Stecken hatten. Das ließ meine eigenen Verstöße harmloser aussehen.
Im Grunde prüften sie zunächst unsere Ekelschwelle, dann unsere Ausdauer und schließlich unsere grauen Zellen. Die junge Spellman-Generation (die ältere vielleicht auch) liebte aber vor allem das Observieren – den Teil des Jobs, bei dem man vergaß, dass man nach der Schule auch noch für die Eltern arbeitete. Doch selbst da gibt es Höhen und Tiefen. Zielpersonen sind ja nicht ständig auf Achse. Sie schlafen, gehen zur Arbeit, nehmen an vierstündigen Konferenzen auf irgendwelchen Firmensitzen teil, während man selbst in der Eingangshalle sitzt, mit knurrendem Magen und wunden Füßen. Ich war am liebsten unterwegs; David bevorzugte die toten Zeiten, da er dann seine Hausaufgaben machen konnte. Alles, was ich tat, war rauchen.
Mit vierzehn führte ich meine erste Observation durch, im Fall Feldman. John Feldman erteilte meiner Familie den Auftrag, seinen Geschäftspartner und Bruder Sam unter die Lupe zu nehmen. John hatte den Eindruck, dass sein Bruder ihn hinterging, und bat uns, Sam ein paar Wochen lang zu beschatten, um zu sehen, ob sein Instinkt ihm recht gab. John lag im Großen und Ganzen richtig, nur dass sein Bruder keine geschäftlichen Interessen verfolgte, sondern großes Interesse an Johns Frau zeigte.
David und ich waren beide blutige Anfänger, als wir die Feldman-Beschattung aufnahmen. Danach war ich ein Profi. Mein Vater fuhr den Kleinbus, meine Mutter den Honda. Beide kommunizierten über Funk mit uns. Ging Sam zu Fuß, waren David oder ich dran. Wir sprangen dann aus dem Auto, folgten der Zielperson in sicherer Entfernung und gaben unsere Koordinaten über Funk weiter, damit uns stets mindestens ein Gefährt einsammeln konnte, wenn Sam plötzlich ein Taxi, den Bus oder die Cable Car nahm. Meist nahm er ein Zimmer im St. Regis.
Bei diesem Job entdeckten wir nicht nur, dass Sam Johns Frau vögelte, sondern auch, wie sehr sich mein jahrelanges Herumstreunen bezahlt machte. Anders gesagt hatte mich mein bisheriges Leben mit einer gehörigen Portion List und Kühnheit ausgestattet, ich wusste, wie weit man gehen durfte und wann man unbedingt Vorsicht walten lassen musste. Ich hatte viel Menschenkenntnis erworben. Ich wusste genau, wann ich der Zielperson an Bord eines beliebigen Verkehrsmittels folgen konnte und wann ich mir lieber ein Taxi nahm. Ich wusste, wie lange ich die Beschattung fortsetzen konnte und wann ich besser aufhörte. Das Entscheidende war aber, dass ich nicht so aussah, als würde ich meine Brötchen damit verdienen, Fremden auf den Fersen zu bleiben.
Mit vierzehn war ich bereits ein Meter siebzig groß, nur fünf Zentimeter kleiner als heute. Ich sah ein paar Jahre älter aus, aber trotzdem höchstens wie eine Studentin – in zerknitterten T-Shirts und uralten Jeans. Weder war ich besonders auffällig noch besonders unauffällig – lange braune Haare, braune Augen, keine Sommersprossen, keine besonderen Kennzeichen. Würde ich meiner Mutter noch einen Tick mehr ähneln, wäre ich sogar schön, aber die väterlichen Gene haben meine Züge etwas gröber ausfallen lassen, und so bezeichnet man mich eher als »attraktiv« denn als »hübsch«. Trotzdem, mit achtundzwanzig sehe ich nicht übel aus, dank einer besten Freundin (die Friseurin ist) und eines leicht gewachsenen Stilbewusstseins. Lassen wir es dabei bewenden.
Mit fünfzehn wurde ich von Onkel Ray nach meinem Geburtstagswunsch gefragt. Ich sagte, eine Flasche Wodka, und als er mir das verweigerte, bat ich ihn, mir stattdessen zu zeigen, wie man Schlösser knackt. Strenggenommen gehört das nicht zum Anforderungsprofil von Privatdetektiven, aber er brachte es mir trotzdem bei, weil er es draufhatte. (Als meine Mutter dahinterkam, strafte sie ihn zwei Wochen lang mit Nichtbeachtung.) Nie würde ich im Job von dieser Fertigkeit Gebrauch machen, doch zum Freizeitvergnügen taugt sie seither immer wieder.
Mit sechzehn lernte ich, wie man sich telefonisch Informationen beschafft, ohne sich nachweislich wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen strafbar zu machen. Darin ist meine Mutter eine echte Meisterin. Ob nun Sozialversicherungsnummern, Geburtsdaten, vollständige Kreditkartenabrechnungen, Kontoauszüge oder Personalauskünfte – die bringt sie jeweils mit einem einzigen Anruf in Erfahrung, der in etwa so klingt:
»Guten Morgen. Könnten Sie mich bitte mit Mr. Franklin verbinden? ... Oh, hallo, Mr.
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