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Live!

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Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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seine Fotografie in den Mittelpunkt der Titelseite gerückt, doch auch hier zeichnet sich eine ähnliche geschmackliche Talfahrt ab. Die angesehenste Zeitung zeigt ein neutrales Bild: Favieros beim Shakehands mit dem Premierminister. Zwei weitere zeigen Favieros mit dem Revolverlauf im Mund. Die ruchlosesten haben Favieros’ Leiche vor dem Hintergrund des blutbesudelten Aquariums den Vorzug gegeben.
    Ich trinke den süßen, in Wahrheit aber verwässerten Mokka und lese einen Artikel nach dem anderen. Sie sind voller Fragezeichen und Vermutungen, was bedeutet, daß keiner etwas weiß und alle im trüben fischen. Die eine behauptet, Favieros habe mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekämpft und knapp vor dem finanziellen Ruin gestanden. Eine andere meint, er habe an einer unheilbaren Krankheit gelitten und sich entschlossen, auf diese spektakuläre Weise seinem Leben ein Ende zu setzen. Ein Blatt aus dem linken politischen Spektrum analysiert ausführlich die schwerwiegenden psychischen Probleme, die Favieros nach seiner Folterhaft bei der Griechischen Militärpolizei zu schaffen machten. Es gibt auch ein Interview mit einem Psychiater, der in Fällen, wo es um tiefsinnige psychologische Porträts des Täters oder des Opfers geht, stets die Nase vorn hat. Seine Analysen lassen das FBI vor Neid erblassen. Eine andere Zeitung – die mit der Schlagzeile »Big brother live« – wirft den Gedanken in den Raum, Favieros könnte aufgrund seiner unheilbaren Krankheit eine Vereinbarung mit dem Fernsehsender getroffen haben, sich öffentlich umzubringen, um eine große Geldsumme einzustreichen und sie seiner Familie zu hinterlassen. Schließlich formuliert eines der Käseblätter mit den riesigen Bildmontagen scheinheilig die Ansicht, Favieros sei homosexuell gewesen, erpreßt worden und habe den Freitod vorgezogen, um den Lästermäulern den Mund zu stopfen.
    Die wissen auch nicht mehr als ich, sage ich mir. Ergo gar nichts. Ich blicke auf die Uhr. Über zwei Stunden habe ich mich in die Zeitungen vertieft, und die Essenszeit in meiner Privatklinik ist schon lange überschritten. Ich lasse zweieinhalb Euro auf dem Tisch liegen und schlage den Heimweg ein. Ich bin gerade die Aroni-Straße zur Hälfte wieder zurückgegangen, als mir plötzlich die Idee durch den Kopf schießt, Sotiropoulos anzurufen, einen Journalisten, mit dem mich eine Haßliebe verbindet – wobei der Haß allerdings überwiegt. Am Kiosk kaufe ich eine Telefonkarte, und die Auskunft teilt mir die Nummer von Sotiropoulos’ Fernsehsender mit.
    »Was für eine Überraschung, Kommissar!« Die Anrede »Herr« hat er schon vor Jahren ad acta gelegt. »Sind Sie wieder auf der Höhe?«
    »Sozusagen. Alles ist relativ.«
    »Wann sind Sie wieder im Dienst?«
    »Ich bin noch zwei Monate krank geschrieben.«
    »Sie sind mein Ruin!« stößt er enttäuscht hervor. »Dieser Janoutsos, der Sie vertritt, treibt uns noch zum Wahnsinn. Dem muß man alles aus der Nase ziehen!«
    Ich breche in zufriedenes Gelächter aus. »Das geschieht euch recht. Und mich habt ihr beschuldigt, ich würde euch Erkenntnisse vorenthalten.«
    »Na, der macht das weniger, um seine Karten nicht aufzudecken, als deswegen, weil er keine zwei Sätze am Stück herausbringt. Er notiert sich die Presseverlautbarung auf einem kleinen Block und rattert sie ohne Punkt und Komma runter.«
    Fast wäre mir der Hörer aus der Hand gefallen. »Gikas läßt Janoutsos die Presseerklärung verlesen?« frage ich perplex. Gikas, der Kriminaldirektor, hat diese Verlautbarungen immer wie seinen Augapfel gehütet und sie niemals an jemand anderen abgetreten. Ich mußte sie aufschreiben, und er hat sie auswendig gelernt und vor den Journalisten heruntergebetet. Und nun sollte er sein bestgehütetes Privileg an den dusseligen Janoutsos abtreten, der eine kugelsichere Weste wie eine Zwangsjacke anzieht?
    »Böse Zungen behaupten, er mache das absichtlich. Er haßt ihn so sehr, daß er ihn die Presseerklärungen herunterstottern läßt, um ihn bloßzustellen.«
    Das traue ich Gikas durchaus zu.
    »Ich möchte Sie was fragen, Sotiropoulos. Aus rein persönlichem Interesse. Was wissen Sie über Favieros’ Selbstmord?«
    »Nichts.« Die Antwort kommt prompt und unmißverständlich. »Niemand weiß etwas. Außer vielleicht seine Familie, aber die gibt sich zugeknöpft.«
    »Was halten Sie von den Zeitungsmeldungen?«
    »Das Gerede über finanzielle Nöte, psychische Probleme und ähnliches? Schall und Rauch,

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