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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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meine ich.
    »Da bist du nicht der einzige! Blick dich doch um!«
    Und sie deutet auf eine Dame, die gerade den Nebenfluß mit einer über den Kopf gestülpten und zwei um die Füße gebundenen Plastiktüten durchquert.
    »Bedank dich lieber bei mir, daß ich so schlau war, einen Regenschirm mitzunehmen«, triumphiert Adriani.
    Beim Anblick des Schirms löst sich mein Widerstand auf, und eine Minute später stehen wir auf der anderen Straßenseite.
    Trotz des Regenschirms und der Plastiktüten sind wir klatschnaß geworden, und zu Hause angekommen, reiben wir uns mit Alkohol ein und ziehen uns um. In der Zwischenzeit hat der Regen genauso schlagartig aufgehört, wie er eingesetzt hatte, und der Sonnenuntergang zeichnet sich klar und tiefrot am Himmel ab.
    Das ist die ödeste Stunde meines Alltags, da ich nicht weiß, wie ich sie sinnvoll verbringen soll. Bis zum Mittag komme ich irgendwie über die Runden: Ich ziehe den morgendlichen Kaffee in die Länge, dann retten mich die Zeitungen und die Wörterbücher. Nach dem Mittagessen lege ich mich hin. Einschlafen kann ich zwar nicht, aber ich halte meine Augen etwa zwei Stunden lang krampfhaft geschlossen, um mir selbst weiszumachen, daß ich schlafe. Danach ist das Rendezvous mit der Katze an der Reihe. Zwischen meiner Rückkehr nach Hause und den Abendnachrichten klafft ein schwarzes Loch, das mit nichts zu füllen ist. Ich knöpfe mir ein wenig die Lexika vor, lasse sie dann aber liegen. Später greife ich zur Zeitung, doch die habe ich bereits ausgelesen. Bleibt nur noch das Kreuzworträtsel, das mich am meisten auf die Palme bringt, da ich auf diesem Gebiet eine vollkommene Niete bin. Ganz abgesehen davon, daß ich mich persönlich beleidigt fühle, weil ich – nach so vielen Jahren des eingehenden Wörterbuchstudiums – die gesuchten Begriffe nicht finden kann. Beim dritten Anlauf schmeiße ich dann die Zeitung vom Bett aus an die Schlafzimmertür oder vom Wohnzimmer in den Flur, je nachdem, wo ich mich gerade befinde, doch am nächsten Tag fange ich im Zuge meines altbekannten Masochismus wieder von vorne an.
    So auch jetzt. Ich starre auf die kleinen Quadrate und würde, so wie damals in der Schule, am liebsten Schiffchenversenken spielen, weil ich die Lösungen nicht weiß. Nach zehn Minuten schmeiße ich die Zeitung entnervt in den Flur.
    »Mensch, wieso plagst du dich denn so damit, wenn du es ohnehin nicht hinkriegst?« höre ich Adrianis Stimme aus der Küche. Mit Argusaugen überwacht sie die Wohnung, nicht das geringste entgeht ihr.
    Die Tatsache tröstet mich, daß aufgrund des Unwetters die Tagesschau anders verlaufen wird, nämlich mit Bildern von Wasserströmen, überschwemmten Kellern und vollen Eimern. Doch meine Freude ist nach vier Panoramaaufnahmen dahin – das nachmittägliche Hochwasser hat nur eine mickrige halbe Stunde angedauert. Als die Kamerateams eintrafen, waren die Flüsse auf den Straßen bereits wieder versiegt. Ich bin schon darauf eingestellt, zum dritten Mal dieselben Meldungen zu hören, die ich bereits in den Morgen- und Mittagszeitungen nachgelesen habe, als die Nachrichtensendung schlagartig unterbrochen und ein Werbeblock dazwischengeschaltet wird.
    »Na so was, werden jetzt sogar schon die Nachrichten von Werbung unterbrochen?« wundert sich Adriani. »Die schrecken vor gar nichts mehr zurück.«
    In einem ersten Impuls stehe ich auf und will hinausgehen. Daß ich nun auch noch den Werbeblock abwarten muß, um die altbekannten Meldungen wiederzuhören, scheint mir zuviel verlangt. Doch da ich nichts Besseres zu tun habe, setze ich mich wieder hin. Ausnahmsweise wird meine Geduld belohnt, denn die Werbung wird ebenfalls abrupt abgebrochen, und die Nachrichtensprecherin erscheint auf dem Bildschirm. Sie hält ein Blatt Papier in der Hand und blickt das Fernsehpublikum ratlos an.
    »Sehr geehrte Zuschauer, vor einigen Minuten ist bei unserem Sender ein anonymer Anruf eingegangen. Ein Unbekannter erklärte, er melde sich im Namen der Griechisch-Nationalen Vereinigung Philipp von Makedonien . Diese Organisation übernehme die Verantwortung für den Selbstmord des Unternehmers Jason Favieros. Der Anrufer sagte wortwörtlich: ›Favieros hat nicht von sich aus den Freitod gewählt, wir haben ihn zum Selbstmord veranlaßt. Die Gründe für seine Hinrichtung stehen in einem Bekennerschreiben, das wir im Mülleimer vor dem Portal des Senders hinterlegt haben.‹«
    Die Nachrichtensprecherin macht eine kleine Pause und blickt die

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