Liverpool Street
Mrs Stone, offenbar bereit, alles zu versprechen, was mir in den Sinn kam. »Und wo wir gerade von Rationierung reden …!«
Sie eilte geschäftig davon. Ich ließ Ey-Dolf los und schaute ihn kein einziges Mal mehr an. »Wir müssen noch zu Mrs Collins«, erinnerte ich Amanda schroff.
Sie klappte meinen Koffer zu. Wir gingen die Treppe hinunter, die Stones im Rücken. Unten erwartete uns schon eine strahlende Mrs Stone mit einer Tasche, die so randvoll war mit Lebensmitteln aus ihrer Speisekammer – dass ich gar nicht anders konnte als mich an ihren anfänglichen Geiz zu erinnern! Die Befriedigung, ihre Bestechung abzulehnen, war mir allerdings nicht vergönnt, so schnell und ohne jegliche Zurückhaltung nahm Amanda die Tasche an.
»Vielen, vielen Dank, Mrs Stone! Frische Butter! Eier … und so ein großes Stück Käse! Ich weiß gar nicht, wie viele Marken ich dafür brauchen würde …«
»Nicht der Rede wert.« Bescheiden wehrte Mrs Stone ab, aber es war nicht zu übersehen, dass ihre Gewissensbisse bereits einer gönnerhaften Pose wichen und die vornehme Dame aus London auf den Status einer gewöhnlichen Städterin herabsank, die sich nicht einmal an Eiern satt essen konnte! Als Amanda mir glücklich zunicken wollte, ließ ich ihre Freude an meinem eigenen stahlharten Blick kalt zerschmettern. Wie konnte sie uns so demütigen? Mit Nachdruck nahm ich ihr meinen Koffer aus der Hand und verließ das Haus.
Der Rest ging schnell. Die Stones schüttelten mir die Hand, Umarmungen gab es nicht. Wir hatten ein Arrangement gehabt und uns mit der Zeit aneinander gewöhnt, aber es hatte nie ein Zweifel darüber bestanden, dass sie eines Tages froh sein würden, mich gehen zu sehen.
Die Kunde von Amandas Eintreffen war uns bereits vorausgeeilt. Mrs Collins erwartete uns in ihrem Zimmer im Hound and Horn. »Was genau ist passiert?«, fragte sie bestürzt.
»Sein Herz …«, begann Amanda, doch ich schnitt ihr sofort das Wort ab. »Mit seinem Herzen hat das nichts zu tun! Die Deutschen haben meinen Vater umgebracht!«, erklärte ich wild.
Verlegen senkte Mrs Collins den Blick. Vielleicht erinnerte sie sich, was mir anfangs widerfahren war, nachdem sie mich unüberlegt als Deutsche bezichtigt hatte; vielleicht reagierte sie auch nur in bekannter Weise auf ein unliebsames Thema. Zweifellos waren alle Behauptungen über die Not der Juden übertrieben, zweifellos konnte es so schlimm gar nicht sein …
»Bist du sicher, dass du zurückwillst?«, fragte sie, Mamus Bescheinigung in Händen. »Du hast doch nette Freundinnen gefunden … die kleine Hazel …«
»Ich hätte gar nicht erst weggehen sollen«, erwiderte ich. »Sagt auch mein Vater.«
Mrs Collins wandte sich an Amanda. »Wie es aussieht, geht die Gruppe in Kürze nach Wales. Sie erfahren Genaueres in der Schule, wenn Sie Ihre Meinung ändern sollten.«
Amanda nickte nach einem raschen Seitenblick auf mich. Offenbar tastete sie ab, ob sie damit eine weitere Abfuhr riskierte.
»Dann also viel Glück, Frances«, sagte Mrs Collins und fügte hinzu: »Lass uns hoffen, dass dieser Krieg zu Ende geht, bevor wir anfangen, uns an das hier zu gewöhnen!«
Ob sie damit Abschiede, Schreckensnachrichten, die elternlose Wanderung Hunderttausender Kinder quer durch England oder alles zusammen meinte, ließ sie offen.
Draußen vor dem Hound and Horn saßen alle meine Freundinnen noch immer um den Dorfbrunnen und Amanda sagte: »Du kannst dich in Ruhe verabschieden, wir haben reichlich Zeit.«
Doch ich gab allen nur reihum die Hand und wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich auch das ausgelassen. Nun, da ich nicht mehr mit ihnen weiterreisen würde, wollte ich bloß noch verschwinden, wollte mich lieber an das gute Gefühl erinnern, zu ihnen gehört zu haben, als an einen Abschied.
Auf dem Weg die Straße hinunter blickte ich mich nicht um – die Vorstellung, wie meine Kameradinnen ohne mich zurückblieben, war lebendig genug! Und wir hatten die Abzweigung nach Tail’s Mews noch nicht erreicht, als mich schon Zweifel befielen, ob ich das Richtige tat. Ich war länger von den Shepards getrennt worden, als wir je zusammen gewesen waren; ich kehrte in ein völlig anderes Leben zurück, als ich damals verlassen hatte, und dass ich selbst mich verändert hatte – merkte ich das nicht gerade an Amandas eigener Reaktion auf mich?
Und dennoch war es ein Weg nach Hause. Mit meinen Freundinnen würde ich, solange der Krieg dauerte, zweifellos mehr Spaß
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