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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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weiter in mir.
    Wir machten Ausflüge ins Umland, ich sah Oxford und Eton und Windsor Castle, wir fuhren nach Brighton, als ich Sehnsucht nach dem Meer bekam. Siobhan kleidete mich komplett neu ein und zeigte mir die Sehenswürdigkeiten von London. Da erst begriff ich, wie klein selbst Cork war, und da ich bisher nicht einmal Dublin gesehen hatte, dachte ich in den ersten Tagen noch, ich müsste verrückt werden, weil diese Stadt niemals endete. Ich sah zum ersten Mal eine Synagoge, und ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass es auch liebenswerte Menschen gab, die keine Katholiken waren.
    Mein neues Zimmer teilte ich mit Sophie, aber es war mindestens dreimal so groß wie mein altes in Emerald Cottage. Natürlich hatte ich in Harrow nicht diesen wunderbaren Blick auf die Keltische See, aber immerhin sah ich auf eine riesige Grünfläche, den Harrow Park. Das Haus hatte zwei Badezimmer, in der Küche glänzten
moderne Elektrogeräte, in einem Wohnzimmer stand ein großer Fernseher, im anderen ein Flügel. Jeden Morgen kam eine Frau, die für die Familie einkaufte, sauber machte, Essen kochte. Ich fühlte mich an Charlotte Brontës Roman Jane Eyre erinnert, den ich mir in den Ferien in einer kindgerechten Adaption in der Bücherei ausgeliehen hatte. Damals dachte ich, so muss sich Jane gefühlt haben, als sie zum ersten Mal Thornfield Hall betrat.
    Vier Wochen hatte ich Zeit, um mich an alles zu gewöhnen, dann musste ich in meine neue Schule. Längst hatte ich den englischen Akzent, den es zu sprechen galt, verinnerlicht. Längst kannte ich die Verhaltensregeln, die so wichtig für das Überleben im Internatsalltag waren: Sophie war ein Jahr älter als ich, sie hatte mir alles über Mode, Make-up und Musik erzählt, was eine Zwölfjährige wissen musste. Sie benahm sich wie eine ältere Schwester, und ich war ihr unendlich dankbar dafür. Sie hatte die exquisite Schönheit ihrer Mutter geerbt, bildete sich aber nichts darauf ein, weil Siobhan darauf achtete, aus Sophie kein oberflächliches Püppchen zu machen. Auch der fünfzehnjährige William war höflich und unprätentiös, ein seltenes Exemplar unter den Schülern eines Elite-Internats. Ich fürchtete mich nicht mehr vor der neuen Schule, ich freute mich darauf. Und prompt gewöhnte ich mich dort auch schnell ein. Anfangs noch war es wie ein Spiel, dann war es einfach nur noch mein Leben.
    Wenn mich meine Klassenkameradinnen fragten, woher ich kam, sagte ich erst noch: »Aus Irland.« Sie staunten, weil meine Worte gar nicht mehr irisch klangen.
Und dann wollten sie alles über meine Heimat in Erfahrung bringen. Sie hatten seltsame Fragen, wollten wissen, ob jeden Tag Autos brannten oder Bomben in Geschäften explodierten. Ich versuchte, ihnen zu erklären, was ich über den Nordirlandkonflikt wusste und dass ich aus dem Süden kam, wo keine Autos brannten. Je mehr ich von Myrtleville erzählte, desto seltsamer fühlte es sich für mich an. Warum sollte ich über etwas reden, mit dem ich gar nichts mehr zu tun hatte? Im nächsten Schuljahr sagte ich dann auf die Frage, woher ich kam: »Meine Familie lebt in London.« Ich stutze bis heute, wenn mir diese Frage gestellt wird. Bei den sozialen Netzwerken im Internet wird oft zwischen Wohnort und Heimatort unterschieden, und ich frage mich beim Ausfüllen jedes Mal, was wohl mit »Heimat« genau gemeint ist.
    Mein Eindruck von Siobhan war also falsch gewesen: Ja, sie war eine Fee, die mich geraubt und in ihre Welt gebracht hatte, aber sie war eine gute Fee, keine böse. Und wann immer ich daran dachte, schien es mir, dass ich von Anfang an in diese Welt gehört hätte. Hatten mich Deirdre und Colin nicht gewollt, weil sie gespürt hatten, dass ich anders war? Vielleicht war das die Antwort, nach der ich gesucht hatte. Und doch konnte ich meinen Eltern nicht verzeihen.
     
    Vor zehn Jahren – ich war 22 Jahre alt und befand mich in Oxford gerade im ersten Jahr meiner Doktorarbeit – starb mein Vater. Deirdre hatte es nicht verhindern können. Er war nachts von der Pine Lodge in Myrtleville zu Fuß nach Hause gegangen. Ein Wagen hatte ihn erfasst und überfahren. Der Fahrer war ein Tourist aus den USA
auf dem Weg vom Yachtclub zum Anwesen eines Freundes. Er war den Linksverkehr nicht gewöhnt, hatte noch nie ein Auto gefahren, das das Lenkrad auf der rechten Seite hatte. Und er hatte getrunken. Nicht so viel wie mein Vater, aber genug, um deutlich verlangsamt zu reagieren. Man sagte mir, mein Vater sei sofort

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