Liz Balfour
Cotswolds. Seither hatte eine Gelegenheit gefehlt, um sich wiederzutreffen. Anders ging es nicht, weil ich es sonst nicht schaffte, über ihre kühl-distanzierte Art hinwegzuschauen.
Mit Siobhan und Matthew war das anders, solange diese noch in London gelebt hatten. Sie riefen an, um zu fragen, ob sie am Wochenende auf ein Glas Wein hereinschneien durften. Wir riefen an, um mit ihnen abends essen zu gehen. Es war unkompliziert, es war herzlich, und es machte Spaß. Um meine Mutter zu treffen, brauchte es einen Anlass.
Ich hatte nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Deirdres Stimme, die mich zum Essen rief, ließ mich aufschrecken. Ich verließ eilig das Zimmer, lief die Treppe runter zur Küche, und als ich dort aus dem Fenster sah, wurde mir bewusst, dass der Himmel ein anderer geworden war. Der Wind hatte sich gelegt, der Regen hatte aufgehört, und ich konnte vom Meer her den Nebel heraufkriechen sehen.
Meine Mutter hatte extra für mich Dinge eingekauft, von denen sie glaubte, dass ich sie immer noch gerne aß: Lachs, Kartoffeln und Spinat.
»Oder hätte ich lieber Reis machen sollen?«, fragte sie unsicher.
»Kartoffeln sind gut«, sagte ich und überlegte, wann ich zuletzt welche gegessen hatte.
Beim Essen fragte ich Deirdre nach ihrem neuen Job. Vor drei Jahren hatte sie gekündigt, um in die Stadtverwaltung zu wechseln. »Das ist sicherer«, hatte sie damals gesagt und recht behalten: Nur vier Wochen später meldete der Pharmakonzern Konkurs an. Ich spürte, wie sehr sie bedauerte, dass diese Epoche vorüber war: die Zeit des Aufschwungs, des Optimismus, des »Keltischen Tigers«, wie Irland seit Mitte der Neunzigerjahre wegen des stetig wachsenden Bruttoinlandsprodukts häufig genannt wurde. Sie hatte die Jahre als Sekretärin in einer Vertrauensstellung genossen. Geblieben waren nun geregelte Tagesabläufe und finanzielle Sicherheit, aber die neuen Kollegen lagen ihr nicht, und sie langweilte sich meistens.
»Das ist ja nun auch bald vorbei«, sagte sie.
»Du bist nicht mal sechzig! Du hast doch noch sieben Jahre vor dir, wenn sie nicht noch schnell das Rentenalter raufsetzen.«
Sie lächelte auf diese ihr eigene, abwesende Art. Wer sie kennenlernte, musste denken, sie sei mit den Gedanken ganz woanders, aber sie lächelte einfach immer so. »So, nun erzähl von dir, Alannah. Du und Benjamin, ihr seid sehr erfolgreich, nicht? Macht dir die Arbeit denn auch Spaß?« Sie klang angestrengt fröhlich. Ich schob es darauf, dass wir uns so selten sahen, so lange schon nicht gesehen hatten. Und dass wir uns vorhin erst gestritten hatten. Also überging ich es und fing an, von meinen Fällen und Recherchen zu erzählen. Von dem Mann, dem man fristlos gekündigt hatte, weil er Firmengeheimnisse ausgeplaudert hatte, der jetzt aber unseren Mandanten auf Wiedereinstellung verklagte. Von komplizierten Verträgen,
die wir aufsetzen mussten, weil eine kleine, aber finanzstarke Londoner Firma einen großen, aber insolventen US-amerikanischen Betrieb aufkaufen wollte. Von einem Modelabel, das sich im großen Stil ausschließlich über fair produzierte Kleidung aus Ökobaumwolle positionieren wollte. Aber dann sah ich an ihrem Blick, dass sie mir gar nicht richtig zuhörte. Diesmal war sie wirklich mit den Gedanken weit weg. Also brach ich ab und sagte lachend: »Entschuldige, ich langweile dich gerade zu Tode. Aber wie du siehst, macht mir meine Arbeit sehr viel Spaß, ich könnte stundenlang darüber reden.«
»So viel, dass du sogar an den Wochenenden und spätabends noch arbeiten musst? Und sogar jetzt hast du dir Arbeit mitgenommen.«
Ich zuckte die Schultern. »Das ist normal. Es gehört dazu, und solange mir der Job Spaß macht, macht es mir auch nichts aus. Außerdem bleibe ich bis Dienstag, ich muss also wirklich was tun.«
»Könntest du denn ein wenig kürzertreten, wenn du das wolltest?«
»Schon, aber … Warum sollte ich das wollen?«
»Eines Tages will eine Frau doch Kinder.« Deirdre lächelte. »Ich mein ja nur«, ergänzte sie eilig, als sie mein Gesicht sah.
Ich musste tief durchatmen und bis zehn zählen, um ruhig antworten zu können. »Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass du mich mit diesem Thema in Ruhe lässt?«
»Aber das ist doch etwas, worüber man mit seiner Mutter offen reden kann, meinst du nicht?«
»Wenn ich eine Mutter hätte, mit der ich offen reden
könnte, dann vielleicht.« Ich hatte es wieder nicht geschafft, ruhig zu bleiben.
»Alannah, das ist Unsinn.
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