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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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auftauchte, stand er ganz dicht vor mir.
    »Sind Sie nicht Deirdres Tochter?«, sagte er.
    Ich schluckte. »Spricht sich schnell rum«, antwortete ich möglichst gelassen.
    »Wir hatten doch schon mal das Vergnügen.«
    »Ich weiß. Und ich würde es nicht Vergnügen nennen.«
    Er hob die Augenbrauen. »Ich erinnere mich eigentlich ganz gern daran.«
    »Daran, dass ich im Matsch lag, oder daran, was das Pferd wohl durchgemacht hat?«, fragte ich spitz.
    Er rieb sich das Kinn. Für eine Sekunde sah es so aus, als amüsierte er sich prächtig. »Sie waren das also wirklich heute Morgen.«
    »Davon reden wir doch?«
    »Nein«, sagte er, »davon reden wir nicht. Ich jedenfalls nicht. Ist aber auch nicht weiter wichtig.« Er nickte mir knapp zu. »Grüßen Sie Ihre Mutter.«
    »Wenn ich dran denke.«
    »Dann eben nicht.«
    Schon war er in dem Gang verschwunden, der zu den Toiletten führte. Wer war er? Und warum konnte ich mich nicht erinnern? Er war mir absolut fremd, und gleichzeitig spürte ich etwas wie eine große Nähe zu ihm.
    Verwirrt nahm ich meine Sachen und beeilte mich, aus dem Pub zu kommen.

    30. Mai 1972
    Liebste Deirdre,
     
    ich habe mich sehr über deinen Brief gefreut. Danke.
    Du fragst mich, warum es so ein schreckliches Jahr bisher für mich war? Dies wird kein schöner Brief werden… Lies nur weiter, wenn du sicher bist, dass du diese Dinge wissen willst…
    Es fing alles an mit dem Blutsonntag in Derry. Die vielen Toten und Verletzten… Kurz darauf wurde mein Schwager Daniel verhaftet. Daniel lebt mit meiner Schwester Eileen seit sechs Jahren in Nordirland im County Armagh. Sie arbeiten beide als Lehrer an einer katholischen Schule und haben eine Tochter, Angela. Wir nennen sie Angie, sie ist jetzt zwölf Jahre alt. Daniel ist katholisch wie wir alle, und er verabscheut Gewalt wie wir alle. Er ist für ein geeintes Irland, aber er will einen friedlichen Weg. Er war nie Mitglied einer Partei, er hatte nie mit der IRA zu tun, schon gar nicht mit den Provos. Kann ich mir da sicher sein? Ja, Deirdre, ich kann. Ich weiß es. Sie haben ihn trotzdem wie so viele andere ohne Prozess inhaftiert, und wir wissen nicht, wie wir seine Unschuld beweisen sollen. Oder an welche Instanz wir uns wenden müssen.
    Es gibt da noch meinen jüngeren Bruder Shane. Er ist jetzt fünfundzwanzig. Shane war immer der Kleine, immer mit den Gedanken woanders, nie bei der Sache. Er hat sich vor zwei Jahren für die Provos interessiert das erste Mal in
seinem Leben, dass er wirklich für eine Sache gebrannt hat. Er besorgte Waffen, er wusste, wann Hausdurchsuchungen und Festnahmen geplant waren. Er hat Daniel sogar vor der Festnahme gewarnt, aber der wollte ihm nicht glauben. Daniel sagte: Ich habe nichts verbrochen, ich bin unschuldig, wovor soll ich mich fürchten? Und jetzt ist es zu spät. Shane ist mal wieder untergetaucht, wir wissen nicht, wo er ist. Und wie wir Daniel helfen können, weiß nur Gott.
    Meiner Schwester und meiner Nichte geht es furchtbar schlecht. Ich kann nichts für die beiden tun. Deshalb ist es ein schreckliches Jahr, und deshalb bin ich so glücklich, dich getroffen zu haben. Du bist der einzige Lichtblick in meinem Leben. Es kommt mir vor, als hätte ich jahrzehntelang im Dunkeln gelebt.
     
    Bitte, ich will dich wiedersehen.
    M.

3.
    »Eoin O’Connor«, sagte Deirdre und lächelte, diesmal ausnahmsweise gar nicht abwesend.
    »Er hat das Pferd querfeldein gejagt, bis es zusammengebrochen ist. Und er hatte noch jemanden dabei, der ihm geholfen hat. Ich hörte einen Knall, vielleicht einen Schuss, bevor das Tier umfiel. Ich habe mir das Nummernschild gemerkt. Am besten rufe ich die Polizei an. Das hätte ich längst tun sollen.«
    »Nein, so ein Unsinn. Das hast du missverstanden. Eoin tut keiner Fliege was zuleide.«
    »Ich hab es doch selbst gesehen!«, beharrte ich. »Da war irgendwas nicht in Ordnung. Sie haben sich darüber unterhalten, wem das Pferd wohl gehören könnte. Und dass es sehr wertvoll ist.«
    »Und ich freu mich, dass du doch noch nicht abreist«, sagte sie.
    Wäre sie nicht schon immer so sprunghaft gewesen, ich wäre überzeugt davon, dass sie senil geworden war. Hörte sie mir denn nicht zu?
    »Jetzt kannst du wenigstens deine Sachen mitnehmen, bis morgen früh sind sie trocken«, fuhr sie fort.
    »Haben wir nicht gerade noch über ›Wie hieß er gleich‹ O’Connor gesprochen?«

    »Tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, wer Eoin ist«, sagte sie ungeduldig.
    »Jemand, um

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