Lizenz zum Kuessen
welche gegen die Karosserie. Nach einer Weile merkte Nikki, dass sie auch die Schotterstraße verließen und sich nun auf einer unbefestigten Piste befanden. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt und begannen taub zu werden. Panik stieg in ihr auf, aber sie versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass ein Großteil der anderen Mädchen das hier schon hinter sich hatte. Wenn die es überlebt hatten, würde sie es auch überstehen. Oder?
Nikki hörte ein lautes, metallisches Quietschen, als die Türen des Lieferwagens sich öffneten. Mittlerweile schnürte Panik ihr die Kehle zu.
»Es ist jetzt genau zwei Minuten nach neun«, verkündete Mrs Boyer.
Der Wagen fuhr langsamer und war fast zum Stillstand gekommen, als Mrs Boyer Nikki aus dem Laderaum stieß. Nikki schlug auf dem harten Sandboden auf, überschlug sich ein paarmal recht schmerzhaft und blieb schließlich liegen.
»Viel Glück, meine Dame!«, rief Mrs Boyer ihr hinterher. Nikki hörte, wie die Türen wieder zuschlugen und der Lieferwagen
davonfuhr. Reglos lag sie auf dem Boden und sinnierte über das Leben im Allgemeinen und über ihre nervöse Blase im Speziellen nach. Zwei Minuten nach neun. Sie hatte drei Stunden, um zurück zur Ranch zu gelangen, ihr waren die Augen verbunden, die Hände auf dem Rücken gefesselt - und ihr einziger Gedanke war, dass sie doch noch mal aufs Klo hätte gehen sollen, bevor sie zum Hauptgebäude aufgebrochen war. Die Panik schien jetzt ihren Höhepunkt erreicht zu haben und ebbte langsam ab. Nikki rollte sich auf den Rücken und hoffte, dass niemand in der Nähe war und sie sah. Dann rollte sie sich noch weiter zurück, bis auf die Schulterblätter. Sie reckte ihren Hintern in die Höhe, bugsierte ihre zusammengebundenen Hände über ihre Hüften und schob die Beine zwischen den Armen durch, setzte sich auf und riss sich triumphierend die Augenbinde ab.
»Es lohnt sich doch, Cheerleader gewesen zu sein!«, rief sie und hielt sich dann erschrocken die Hand vor den Mund. Das Gelände war von wildem, wogendem Gras bewachsen und fiel in der Richtung, in der sie saß, leicht ab. So weit sie sehen konnte, schienen in der unmittelbaren Umgebung keine Carrie-Mae-Beraterinnen auf der Lauer zu liegen. In der Ferne hörte Nikki einen Koyoten heulen.
»Müsste ich nicht viel mehr Angst haben?«, fragte sie sich und schaute zum Nachthimmel hinauf. Aber das beruhigende kleine Plastikding an ihrem Kragen und die vertrauten Sternbilder über sich ließen alles gleich viel weniger angsteinflößend und eher wie ein großes, aufregendes Abenteuer wirken.
Sie begann, das Seil um ihre Handgelenke mit den Zähnen zu bearbeiten. Nachdem sie das Ende der Schnur gefunden hatte, zog und zerrte sie so lange, bis sie das Seil schließlich weit genug gelockert hatte, dass sie erst die eine Hand und
dann die andere herausziehen konnte. Ihre Handgelenke waren ein bisschen aufgeschürft, aber sie war frei.
Sie sprang auf und wollte das Seil gerade ins Gebüsch werfen, als sie jäh innehielt und es nachdenklich in den Händen wog. Gemäß den Prinzipien des Universums würde sie garantiert später brauchen, was sie jetzt so unbedacht wegwarf. Also knotete sie das Seil zusammen und schlang es sich um die Hüfte.
Dann lief sie zurück zur Straße und überlegte, in welche Richtung sie gehen sollte. Der Polarstern stand hinter ihr, was hieß, dass es bergab nach Süden ging und rechter Hand nach Westen. In der Richtung, aus der sie gekommen waren, hatte es eine asphaltierte Straße gegeben. Und wo Asphalt war, waren auch Menschen, die sie nach dem Weg fragen konnte. Nikki rannte ein paar Schritte auf der Piste entlang, verschwand dann seitlich im Gebüsch, und als sie wieder herauskam, war auch ihre Blase zu neuen Taten bereit.
Nikki behielt ein stetes Tempo bei und lief leichtfüßig auf den Zehen, um sich nichts zu zerren. Von einer Anhöhe aus entdeckte sie erste Anzeichen der Zivilisation. In einiger Entfernung war im Dunkel verschwommenes Licht zu sehen. Sie legte an Tempo zu und rannte die Anhöhe hinab. In der Ebene angelangt, spürte sie wieder die Schotterstraße unter ihren Füßen. Mittlerweile hatte Nikki sich warmgelaufen und zog den Reißverschluss ihres Sweatshirts auf. Dann ging es eine weitere Anhöhe hinauf, ehe das Gelände nach Süden immer weiter abfiel. Oben angekommen, sah sie, dass die Lichter von einigen Campingwagen und Wohnmobilen kamen. Schwach konnte sie Motorengeräusche und die wummernden Bässe eines Radios
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