Lizenz zum Kuessen
versuchte sich ganz auf ihre Schritte und ihren Atem zu konzentrieren, und als nach einer Weile ihre Hände zu zittern aufgehört hatten, war sie schon weit genug gekommen, um am Horizont eine Tankstelle zu erkennen. Nikki lief etwas schneller, und als sie die Tankstelle fast erreicht hatte, blieb sie wieder außerhalb des Lichtkreises stehen und betrieb erst mal Lagesondierung. Drei Trucks und ein paar Autos standen auf dem Parkplatz, zwei weitere Trucks an den Zapfsäulen. Irgendwie kam ihr die Tankstelle bekannt vor, und nachdem sie einige Minuten gegrübelt hatte, kam Nikki zu dem Schluss, dass sie daran vorbeigefahren sein mussten, als Mr M. sie vom Flughafen abgeholt hatte. Was wiederum hieß, dass sie sich ungefähr zwanzig Autominuten südlich der Ranch befand.
Nikki ging ihre Möglichkeiten durch. Sie könnte hineingehen und fragen, ob jemand sie mitnehmen würde, aber Trucker standen unter Zeitdruck, weshalb wohl niemand
bereit wäre, einer staubigen, zerzausten und bargeldlosen Fremden zuliebe einen Umweg zu fahren. Vielleicht ließe sich ja einer der Autofahrer überreden? Andererseits erschien ihr hier die Gefahr größer, an eine der Carrie-Mae-Beraterinnen zu geraten, die sich entlang der Strecke postiert haben sollten. Sie könnte eines der Autos kurzschließen, aber dann hätte sie die Polizei am Hals. Selbst wenn sie es noch bis zur Ranch schaffte - kurz darauf verhaftet zu werden gab bestimmt Punktabzug. Während sie noch überlegte, nahm einer der beiden tankenden Truckfahrer ein paar Scheine aus seinem Geldbeutel und warf ihn dann zurück in die Fahrerkabine, schlug die Tür zu und ging Richtung Raststätte.
Nikki griff die Gelegenheit beim Schopf und schlenderte zu besagtem Truck hinüber, machte die Tür auf, sprang in die Kabine und schloss die Tür hinter sich. Jeden Moment rechnete sie damit, wütend angeschnauzt zu werden, aber nichts geschah. Den Kopf geduckt, damit sie von außen niemand sah, tastete sie im Dunkeln nach dem Geldbeutel. Sie fand ihn, sah, dass drei Fünfzig-Dollarscheine darin waren und nahm sich einen. Dann stieg sie auf der gegenüberliegenden Seite wieder aus, da es hier weniger wahrscheinlich war, dass sie gesehen wurde. Nikki schlich sich hinter den parkenden Trucks vorbei, lief dann vorneherum wieder zurück und ging ebenfalls in die Raststätte. Geistesgegenwärtig riss sie sich noch schnell den SOS-Sender vom Kragen und ließ ihn in ihrer Hosentasche verschwinden.
Die Kellnerin starrte Nikki entgeistert an, woraus Nikki schloss, dass sie wirklich ziemlich übel zugerichtet aussehen musste. Ehrlich erleichtert lächelte sie die Kellnerin an und ging an den Tresen.
»Hi«, sagte Nikki und strahlte sie an. »Mann, bin ich froh, wieder normale Menschen zu sehen.«
»Mmmh-mmh«, machte die Kellnerin.
»Ich war mit meinem Freund campen. Bin die ganze Strecke hierher mit dem Motorrad gefahren und unterwegs gestürzt.« Nikki lachte verlegen und deutete auf ihre verschmutzten Klamotten. »Sieht man wahrscheinlich.«
»Mmmh-mmh«, machte die Kellnerin.
»Ich bin schon okay, aber ich bräuchte Kleingeld zum Telefonieren und die Nummer eines Taxidienstes hier in der Nähe. Ich muss nämlich ganz schnell nach Santa Clarita.« Nikki legte ihre fünfzig Dollar auf den Tresen.
»Zu Ihrer Campingstelle wird Sie kein Taxi rausfahren«, bemerkte die Kellnerin und rührte ihr Geld nicht an.
»Soll mir recht sein. Ich will weder diesen Typen noch den Campingplatz je wiedersehen.« Als die Kellnerin verständnisvoll lächelte, wusste Nikki, dass sie genau den richtigen Ton getroffen hatte.
»Kleinen Streit gehabt, was?«, fragte sie und nahm endlich die fünfzig Dollar vom Tresen.
»Könnte man so sagen. Dieses Arschloch meinte, ich wäre genau wie meine Mutter.«
Die Kellnerin seufzte mitfühlend. »Seien Sie froh, dass Sie den los sind.« Sie schüttelte den Kopf, gab Nikki eine Handvoll Münzen und den Rest in kleinen Scheinen. »Das Telefon ist da hinten. An der Wand hängen etliche Karten von Taxiunternehmen. SVC dürften am schnellsten hier sein.«
»Danke«, sagte Nikki. »Wie spät ist es jetzt?«
»22:38«, antwortete die Kellnerin nach einem Blick auf ihre Uhr.
Nikki grinste vor Erleichterung und lief zum Telefon. Wenn alles gutging, würde sie bereits um halb zwölf auf der Ranch vorfahren.
Der Taxidienst versprach, dass spätestens um elf ein Taxi
bei der Tankstelle wäre, und Nikki machte sich auf die Suche nach den Toiletten, um sich ein bisschen frisch
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