Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Zylinder, er lehrte CIA-Agenten auch tödliche Tricks.
Sidney Gottlieb kam am 3. August 1918 in New York als Sohn jüdischer Emigranten aus Ungarn zur Welt – mit Klumpfüßen. Jahrelang konnte er nicht richtig gehen, musste sich drei chirurgischen Eingriffen unterziehen, bis der Geburtsfehler einigermaßen korrigiert war. Und dann war da noch ein anderes Handicap: Sid stotterte. Aber auch dieser Mangel wurde therapeutisch behoben. 1939 begann er ein Studium der Agrarwissenschaften, 1943 promovierte er in Chemie. Nach mehreren Jobs in verschiedenen US-Ministerien und an der University of Maryland schloss sich Gottlieb 1951 der CIA an. »Sid wollte eine Art Schuld gegenüber dem Staat begleichen«, erinnerte sich sein Studienfreund Stanley Mehr später, »weil er aufgrund seiner Klumpfüße nicht in der Lage gewesen war, als Soldat im Zweiten Weltkrieg zu dienen«.
Gottlieb fand bei seinem Dienstantritt in der Abteilung TSS (Technical Services Staff), die sich mit der technischenAusrüstung von Geheimagenten befasste, wissenschaftliche Empfehlungen eines unbekannten Beraters aus dem November 1949 vor. Es sei in ihrem Geschäft »wichtig, nur Leichen zurückzulassen, bei denen auch durch umfangreiche Untersuchungen die tatsächliche Todesursache nicht festzustellen ist, vielmehr muss der Eindruck eines Unfalltodes, Selbstmordes oder natürlichen Ablebens erweckt werden«. Der Experte schlug zum Beispiel vor, Natriumfluoracetat als Pulver oder Tablette in die Nahrung zu mischen oder eine winzige Dosis Tetraethylblei auf die Haut zu träufeln. Beides garantiere »einen schnellen Tod«. Damit war der Weg vorgezeichnet, den Sidney Gottliebs Geheimdienstkarriere nehmen sollte.
Irgendwann Ende 1952 oder Anfang 1953 müssen sich Gottlieb und Mulholland erstmals über den Weg gelaufen sein. Dokumentiert ist ein Treffen am 13. April 1953, auf dem der CIA-Offizier den Magier fragte, ob der sich vorstellen könne, einen Agentenratgeber zu verfassen. Eine Woche später signalisierte Mulholland sein Einverständnis: »Wenn es gewünscht wird, kann ich sofort anfangen«, schrieb er. Es war der Beginn einer wundersamen Beziehung zwischen dem Giftmischer der CIA und dem vermutlich größten amerikanischen Zauberer seiner Zeit.
John Mulholland, am 9. Juni 1898 in Chicago geboren, hatte schon mit 15 Jahren sein öffentliches Debüt gegeben, später sein Studium abgebrochen und sich als Buchhändler und Kunstlehrer durchgeschlagen, ehe er ab 1927 als Illusionskünstler, Lehrmeister für den Nachwuchs und Autor zahlreicher Zauberbücher Karriere machte. Seit 1930 gab er die Zeitschrift The Sphinx heraus, eine angesehene Fachzeitschrift seines Gewerbes, im Juni beendete er diese Tätigkeit wieder, vornehmlich wegen der Doppelbelastung als Künstler und CIA-Berater.
Mit Begeisterung stürzte sich Mulholland in das zunächst auf sechs Monate und dreitausend Dollar Honorar begrenzte Abenteuer, ein Handbuch für Agenten zu verfassen. Da er seine Schüler nie kennen lernen würde, ihnen also nicht physisch zur Hand gehen konnte, mussten seine Tricks blind funktionieren. Anderenfalls stand das Leben der Männer und Frauen auf dem Spiel. In diesem Geschäft gebe es keine zweite Chance, hatte Gottlieb gesagt. Tagsüber probierte und modifizierte Mulholland seine Tricks, mit deren Hilfe einmal Menschen getötet werden sollten, und feilte an den Texten; abends stand er auf der Bühne.
Warum verpflichtete sich der Meisterzauberer dem Bösen? Lange Jahre rätselten Zeitgenossen und Freunde von damals über die Motive des eigentlich liberalen und freigeistigen Amerikaners. Er selbst konnte nicht mehr befragt werden, da die ersten entlarvenden Unterlagen über die anrüchige Zusammenarbeit mit der CIA erst 1977, sieben Jahre nach seinem Tod, ans Licht kamen. »John hat das nicht aus politischer Überzeugung getan«, glaubt George N. Gordon, ein früherer Kollege, »sondern weil seine Regierung ihn darum bat.« Mulholland war ein Patriot – wie Gottlieb. Schon 1944, als die amerikanischen Soldaten nach Europa geschickt wurden, erfüllte es den Künstler mit Stolz, dass in vielen Drillichtaschen eine Miniaturausgabe seines Bestsellers »The Art of Illusion« steckte, als Ablenkung für die Gefechtspausen. Offenbar empfand er es als Pflicht, seine Fähigkeiten in den Dienst des Landes zu stellen. Und er fühlte sich wohl auch von der Geheimdienstofferte geschmeichelt. Selbstverständlich könne, »wenn gewünscht, der Fortschritt seiner Arbeit alle
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