Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
über eine sehr qualifizierte Ausbildung und neueste technische Ausstattung verfügten, überhaupt in der Lage, die tatsächliche Todesursache zu ermitteln. Er selbst habe erst kürzlich von dem Projekt MK-NAOMI und dem so genannten »Mikro-Bioinkubator« erfahren, könne deshalb nicht sagen, ob er schon gegen Menschen zum Einsatz gekommen sei. »Wir haben dazu keine Dokumente in den Tresoren gefunden«, versicherte der CIA-Direktor, allerdings verstehe sich von selbst, dass bei solchen Aktivitäten in der Regel »auch keine Dokumentation der konkreten Nutzung« erfolge. Colby bezog sich dabei auf eine Aussage des Projektmitarbeiters Dr. Stevens, der zu Protokoll gegeben hatte, es sei bei MK-NAOMI »ein völlig übliches Verfahren gewesen, wenig oder gar nichts zu Papier zu bringen«. Die ehrwürdigen Senatoren trauten ihren Ohren nicht.
Colbys Mitarbeiter hatten ihrem Chef einen umfangreichen Sprechzettel über das Geheimprojekt MK-NAOMI mit auf den Weg ins Capitol gegeben. Darin hieß es, die Dart-Pistole sei entwickelt worden, um Wachhunde einer nordvietnamesischen Botschaft irgendwo im südostasiatischen Raum geräusch- und schmerzlos aus dem Verkehr zu ziehen, damit Agenten das Gebäude heimlich verwanzen konnten; danach sollten die Tiere mit einem zweiten Schuss aus der Waffe wieder zum Leben erweckt werden. Die ehrwürdigen Senatoren fanden das wenig amüsant.
MK-NAOMI war 1952 ins Leben gerufen und im Februar 1970, nach einer Direktive von Präsident Nixon, alle Aktivitäten zur biologischen Kriegsforschung unverzüglich einzustellen, wieder beendet worden. Nach dem Bau der Dart-Pistole, soviel ließ sich noch rekonstruieren, waren im Rahmen des Projekts verschiedene Keime und Toxine, also Giftstoffe aus Organismen, gereinigt und gelagert worden, für den Einsatz der CIA bei verdeckten Operationen, Anschlägen und Attentaten.
Außerdem hatten Gottliebs Leute den Auftrag erhalten, Selbstmordpillen (»L-pills«) zu entwickeln, als letzten Ausweg für amerikanische Agenten, die in Feindeshand gefallen waren und fürchteten, unter Folter Geheimnisse zu verraten. Dafür isolierten die Wissenschaftler der CIA-Abteilung Special Operations in aufwändigen Laborapparaturen das sogenannte Paralytic Shellfish Poison (Deckname: »SS«), ein extrem potentes Neurotoxin, das von mikroskopisch kleinen Meeresalgen produziert und von Muscheln angereichert wird. Am Ende lagerten im Arsenal der CIA, in Gebäude 1412 auf dem Areal von Camp Detrick in Frederick/Maryland, zehn biologische und sechs chemische Extrem-Gifte, um Menschen zu töten oder wenigstens nachhaltig außer Gefecht zu setzen, darunter einhundert Gramm Anthraxsporen, zwanzig Gramm Venezuelan equine encephalomyelitis-Virus und drei Gramm Tuberkulose-Bazillen, außerdem zehn Gramm Enterotoxin für Lebensmittelvergiftungen, zwei Gramm tödliches Schlangengift und mehr als fünf Gramm »SS«; zwei Gefäße mit insgesamt fast elf Gramm »SS« verschwanden aus einem wenig genutzten Labor der CIA in Washington, ohne eine Spur zu hinterlassen. Theoretisch reichte die Menge des Neurotoxins aus, um damit fünf- bis sechstausend Menschen zu töten. Gottliebs Biowaffen blieben auch nach Nixons Direktive 1970 in den beiden Kühlschränken seiner Abteilung – für alle Fälle.
Drei Wochen nach Colby musste Gottlieb zu seiner Zeugenvernehmung vor dem Church-Komitee erscheinen. Er kam in Begleitung eines Anwalts, war aus Indien angereist, wo er seit seinem Ruhestand als Freiwilliger in einem Krankenhaus arbeitete, als wolle er Soll und Haben seiner Lebensbilanz ins Lot bringen. Allerdings war dem Giftmischer der CIA für seine Aussage Immunität und strikte Geheimhaltung zugesichert worden, er durfte in einer nicht-öffentlichen Sitzung aussagen, im Abschlussbericht wurde seine Identität später durch den Aliasnamen »Victor Scheider« geschützt. Es wurde eine lange und intensive Befragung durch Senator Frank Church und seine Kollegen.
Über die Jahre, so räumte Dr. Sidney Gottlieb ein, habe er immer wieder Gespräche mit der CIA-Spitze geführt, bei denen es um verdeckte Mordanschläge auf ausländische Politiker gegangen sei. Die amerikanische Regierung besaß damals wenig Skrupel, Staatschefs oder Repräsentanten von Ländern zu eliminieren, die mit dem Kommunismus liebäugelten, das hatte der US-Geheimdienst beim Plot gegen den linksgerichteten Jacobo Árbenz in Guatemala bereits im Frühjahr 1954 unter Beweis gestellt (siehe S. 42). Später dann hatte der damalige
Weitere Kostenlose Bücher