Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Rafael alias Patricia Roxburgh ein Zimmer am Pariser Quai Blériot, das sie einen Tag nach dem Mord an Boudia wieder verließ. Schlüssel für diese Wohnung fanden sich in einem Quartier des Caesarea-Agenten Zvi Steinberg, dort stießen die französischen Ermittler auch auf ein Notizbuch von Abraham Gehmer, dem Sekretär der israelischen Botschaft in Paris, und darin waren die kodierten Telefonnummern von Jonathan Ingleby und Sylvia Rafael aufgeführt.
Das Fiasko – der Fall Bouchiki
»Es war das totale Fiasko! Unsere Leute waren so überwältigt von der Idee, Ali Hassan Salameh endlich zur Strecke zu bringen, dass sie ihren Verstand ausschalteten.«
Yigal Eyal, damals Sicherheitsoffizier des Geheimdienstes Shin Bet an der israelischen Botschaft in Oslo
Im Sommer 1973 säumten bereits neun Todeskreuze den Weg israelischer Mordkommandos durch Europa, neun tatsächliche oder angebliche Mitwirkende des Olympia-Massakers von Fürstenfeldbruck, neun tatsächliche oder angebliche Helfer des palästinensischen Terroristenchefs Ali Hassan Salameh erhielten ihre gerechte Strafe, so wie sie nach einer strittigen Auslegung eines Rechtssatzes der Tora definiert wird: »Du sollst geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme.« Und niemand sollte vor dem »Zorn Gottes« sicher sein, nirgendwo.
Die Sühne-Teams des Mossad bestanden damals »aus etwa 12 bis 15 Männern und Frauen«, erzählt Gad Shimron,und die wiederum seien in Untergruppen aufgeteilt, bezeichnet nach dem hebräischen Alphabet: Aleph sind die beiden Killer, Beth deren Bodyguards; zwei Ceth -Agenten organisieren Hotelzimmer, Wohnungen, Leihwagen; zwei Qoph -Leute halten die Verbindung zur Zentrale; hinzu kommt die Ajin-Truppe – sechs bis acht Kundschafter, die das Opfer beschatten, Fluchtrouten ausbaldowern und nach dem Anschlag Spuren beseitigen. Oft traten sie zur Tarnung als Paare weiblicher und männlicher Agenten auf.
Marianne Gladnikoff, das jüngste Mitglied eines Caesarea-Ajin-Teams, findet sich an einem Julitag des Jahres 1973 in einem Hallenbad in Lillehammer wieder, einer abgelegenen Stadt in einem abgelegenen Land, das bislang auf den Reiserouten palästinensischer Terroristen noch nie aufgetaucht ist: Norwegen. Sie springt ins Wasser und beginnt ein paar Bahnen zu schwimmen. Den blauen Einteiler hat sie kurz zuvor an der Kasse geliehen, um die Beobachtungsaufgabe, zu der sie eingeteilt wurde, überhaupt erfüllen zu können. Ihre Aufmerksamkeit gilt einem jungen Mann, dessen Erscheinungsbild auf eine Herkunft aus dem Nahen Osten schließen lässt. Er steht in jenem Teil des Beckens, in dem die Kinder toben und das Wasser deshalb eher flach ist, und unterhält sich mit einem anderen Badegast. Ein paarmal schwimmt die Agentin unauffällig vorbei und spitzt die Ohren. Sie versteht ein paar Brocken, die sie für Französisch hält, kann aber nicht ausmachen, worüber die beiden reden, weil sie zum einen kein Französisch spricht und zum anderen das Kindergeschrei das Gespräch der beiden Männer übertönt.
Hararis Männer jagen jetzt die Nummer eins auf ihrer Todesliste: Ali Hassan Salameh, 31 Jahre alt, Kriegsname: Abu Hassan. Von Freunden wird er »der rote Prinz« genannt, weil er als Yassir Arafats Lieblingsschüler und sein möglicher Thronfolger gilt, und wohl auch, weil er Chef der gefürchteten Leibwache Force 17 ist und jede Menge Blut an seinen Fingern klebt. Salameh kommt aus reichem Hause, liebt Luxus und schöne Frauen. Er ist eitel, pumpt Gewichte, trainiert Karate, um seinen Körper in Schuss zu halten. Israels Geheimdienst sieht in ihm den Architekten des Anschlags während der Olympischen Spiele, behauptet das jedenfalls später immer wieder.
Im Hadar Dafna Building in Tel Aviv, dem Mossad-Hauptquartier, sind vor einigen Wochen zuverlässig erscheinende Informationen eingegangen, Salameh sei auf dem Weg nach Skandinavien. Skandinavien? Die nordischen Länder galten als terra incognita für die PLO und palästinensische Terroristen. Wieder ein paar Tage später hat es geheißen, ein Kurier des »Schwarzen September« aus Genf habe sich auf den Weg nach Oslo gemacht. Das scheint zusammenzupassen. Mitte Juli steigen deshalb rund 15 Mossad-Agenten aus verschiedenen Ländern, in denen sie unter ihrer Legende leben, in Linienmaschinen, die sie in die norwegische Hauptstadt bringen sollen. Sylvia Rafael alias Patricia Roxburgh
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