Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
freigepresst.
Mike Harari war ein smarter Haudegen, ein harter Bursche, optisch wie physisch, mit einer Präsenz, die einem James Bond zur Ehre gereicht hätte. Wo immer in der israelischen Welt der Geheimdienste ein Ritt auf der Rasierklinge anstand, hatte Harari schon sein Pferd gesattelt. Nun also sollte er als Chef von Caesarea und Kidon zügig eine Truppe handverlesener Kämpfer für die Drecksarbeit des Staates Israel aufbauen, die Menschen kaltblütig ermorden, ohne Fragen zu stellen. Die Leitstelle der neuen Einheit wurde weit weg von Tel Aviv eingerichtet, in Paris, wo Abraham Gehmer, offiziell Erster Sekretär an der israelischen Botschaft, gewissermaßen die Rolle eines Planungschefs für Kidon übernahm.
In Paris lebte damals auch die arrivierte Fotografin Patricia Roxburgh, deren Bilder sogar auf Ausstellungen gezeigt wurden, hinter ihrer zweiten Identität sich tatsächlich allerdings die Caesarea-Kämpferin Sylvia Rafael verbarg. Das war und ist ein übliches Verfahren in allen Geheimdiensten: Agenten leben vollkommen in ihrer neuen Existenz, sie verdienen dort ihr Geld, machen unter Umständen sogar Karriere, schließen Freundschaften – und wenn der verschlüsselte Befehl ihres Führungsoffiziers kommt, wissen sie, was zu tun ist. Für Patricia Roxburgh alias Sylvia Rafael kam der Anruf irgendwann Anfang Oktober 1972.
An jenem Abend hat Patricia Roxburgh den Chansonnier Yves Montand in der Garderobe des Pariser Olympia-Theaters bei seiner neuen Premiere fotografiert, anschließend die belichteten Filme in ihre Agentur gebracht und sich dann auf den Heimweg gemacht. Es ist bereits weit nach Mitternacht, als sie in ihrem Apartment ankommt. Nur Minuten später wird sie durch einen Anruf aufgeschreckt. »Ich habe eine traurige Nachricht für dich«, meldete sich ein Mann am anderen Ende der Leitung, ohne seinen Namen zu nennen, »deine Schwester ist bei einem Unfall schwer verletzt worden!«
»Ist ihr Zustand ernst?«
»Ja, Patricia … morgen sollten wir sie in jedem Fall zusammen besuchen.«
Es ist ihr verabredeter Einsatzbefehl. Die dechiffrierte Botschaft war unmissverständlich, schrieb vierzig Jahre später Sylvia Rafaels Entdecker Moti Kfir in einer Biografie über seine Lieblingsagentin: Die Caesarea-Einheit unter Mike Harari hat einen wichtigen Auftrag, morgen erfährst du die Details, sorge dafür, dass du vorübergehend verschwinden kannst. Vor allem musst du alle Aufträge absagen, die von deiner Agentur für dich verabredet worden sind.
Rafael war als Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter in Südafrika geboren worden, galt nachden Regeln der Halacha damit nicht als Jüdin. Sie war von Moti Kfir, dem Leiter der Mossad-Akademie, entdeckt, von dem Planungschef Abraham Gehmer ausgebildet, und von dem Cukurs-Attentäter Jakob Meidad mit ihrer neuen Legende vertraut gemacht worden; zum Schein hatte Rafael einige Jahre in Montreal gelebt, um Sprache und Gewohnheiten der Kanadier zu adaptieren, war dann als mittlerweile angesehene Fotografin nach Paris übergesiedelt und dort von der Agentur Delmas engagiert worden.
Kfir gerät noch heute ins Schwärmen, wenn er sich an Sylvia Rafael erinnert, ihr Charisma, ihre Schönheit, ihre Persönlichkeit. Aber sie sei nicht nur eine außergewöhnliche Frau gewesen, sondern auch eine famose Agentin, sagt Kfir, die ihr Leben in den Dienst eines Landes gestellt habe, das nicht ihr Geburtsland gewesen sei.
Am Morgen nach dem verschlüsselten Anruf trifft sich Patricia Roxburgh alias Sylvia Rafael mit ihrem Führungsoffizier Abraham Gehmer, der ihr präzise Instruktionen gibt. Sie soll den Nachtzug nach Rom nehmen und dort zu einem Kommando stoßen, das den Auftrag hat, den im Exil lebenden Palästinenser Abdel Wael Zuaiter zu liquidieren. Mike Harari werde die Operation persönlich leiten.
Der 38-jährige, in Nablus auf der Westbank geborene palästinensische Schriftsteller Zuaiter führte damals ein eher unscheinbares Leben in Rom, er bewegte sich völlig unbeschützt und unbewaffnet, in seinem Leben gab es viel Routine; er traf sich regelmäßig mit Freunden, darunter Mitgliedern der Kommunistischen Partei, aber auch dem Autor Alberto Moravia; er übernachtete häufig bei seiner Freundin Janet Venn-Brown, die aus Australien stammte. Zuaiter hatte den arabischen Klassiker »Tausendundeine Nacht« ins Italienische übersetzt und mehrere Gedichtbände veröffentlicht. Doch das nährte keinen Mann. Um seinen Lebensunterhalt zu
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