Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
nicht das, für das man sie halten sollte, kein alleingebliebenes Mädchen, das irgendwann seine Lebensaufgabe gefunden hatte. Das Aushängeschild ASED diente ebenso der Tarnung wie die gesamte karitative Mission in den Flüchtlingslagern. Ihr eigentlicher Auftrag passte zum Charakter dieser Stadt: Sie sollte den »roten Prinzen« locken, bezirzen und umgarnen, mit allem, was ihr zur Verfügung stand – und sie sollte ihn am Ende in die Luft jagen. Ihr Boss war Mike Harari, und der residierte nur dreihundert Kilometer Luftlinie südlich, und doch Welten entfernt, im Mossad-Hauptquartier in Tel Aviv.
Nach dem Tod Haddads war die Ermordung Ali Hassan Salamehs erneut an die erste Stelle auf der Agenda des Mossad gerückt. Noch immer leitete Mike Harari, der Hauptverantwortliche für das Fiasko in Lillehammer, die Caesarea-Abteilung. Fünf vergebliche Versuche, den »roten Prinzen« zu liquidieren, hatte er inzwischen zu verantworten. Aber die israelische Regierung unter Menachem Begin gab ihm noch eine weitere Chance, seine Scharte mit dem marokkanischen Kellner Ahmed Bouchiki auszuwetzen, die von den Israelis als Leyl-ha-Mar , Nacht der Scham, bezeichnet wurde. Hätte er in Beirut Erfolg, würde niemand mehr über den Fehlschlag von Norwegen sprechen. Und so war Harari bei der Vorbereitung dieses hits noch sorgfältiger zu Werke gegangen, vor allem ohne Zeitdruck, denn er wusste, eine erfolgreiche Operation brauchte eine akribische Planung. Seine Wahl für die zentrale Rolle bei der geplanten Exekution war auf die burschikose, etwas pausbäckige Agentin »Penelope« gefallen, alias Erika Chambers. Wilhelm Dietl, selbst ein »bunter Vogel« auf Wanderschaft zwischenden geheimnisvollen Welten des Orients und der Spionage, hat ihre spannende Geschichte später präzise recherchiert und aufgeschrieben.
Erika Maria Chambers war im August 1972 nach Israel gekommen und ein Jahr später in Hararis geheime Welt abgetaucht. Sie kam aus Southampton in England, hatte ein Studium mit dem Bachelor of Science in Geographie abgeschlossen, war 1969 nach Canberra in Australien ausgewandert und dort in den Staatsdienst gegangen. Doch das Leben auf dem fünften Kontinent erfüllte sie nicht. Sie plante eine Dissertation, bewarb sich an der Hebrew University in Jerusalem, wurde angenommen. Ihre Fachrichtung: Hydrologie, ihr Forschungsgebiet: die Negev-Wüste. Die Studien in der unerträglichen Hitze erwiesen sich bald als Knochenjob, sie hielt nach Alternativen Ausschau.
Irgendwann und irgendwo in Israel muss Erika Chambers einem Talentsucher des Mossad begegnet und aufgefallen sein. Diese »Spotter« haben einen untrüglichen Blick für junge Ausländer, die wie Chambers jüdischer Abstammung sind und sich deshalb oft sehr mit dem Judenstaat identifizieren. Gesucht werden geeignete Kandidaten für ein anstrengendes und entbehrungsreiches Leben als Agent, keine Abenteurer oder Aufschneider, sondern intelligente, nüchterne und anpassungsfähige Männer und Frauen, wobei der ausländische Pass eine große Hilfe ist. Denn die »Kämpfer« der Caesarea-Einheit leben überwiegend unter einer Legende im Ausland, nach Israel reisen sie nur selten und dann mit einem zweiten Pass, ins Hauptquartier des Mossad kommen sie so gut wie nie.
Erika Chambers bestand 1973 alle Prüfungen und Tests der Mossad-Akademie, bekam eine einjährige Grundausbildung und danach ein einjähriges Spezialtraining, lernte das Handwerk der Spionage und des Tötens. Dann schickte Mike Harari sie zurück in ihr Heimatland England, um dortmit dem langwierigen Aufbau einer Legende zu beginnen. In absehbarer Zeit würde er sie für einen Kidon-Job benötigen, für eine Exekution. Bis dahin musste ihre Scheinexistenz perfekt sein.
Nach Jahren erstmals zurück in London, musste sie sich zwingen, nicht sofort zum Haus ihrer geliebten Mutter zu fahren. Die Mossad-Ausbilder hatten ihr immer wieder eingetrichtert, »dass sie sich nicht in Familienbindungen verstricken« dürfe, schreibt Dietl. Stattdessen mietete sie ein Apartment im südöstlichen Vorort Richmond, meldete sich bei den Behörden an und sprach dann am 30. Mai 1975 beim Londoner Passport Office vor. Die Mossad-Agentin erbat einen neuen Pass, weil ihr der alte wegen zahlreicher israelischer Einreisestempel Schwierigkeiten bei Reisen in arabische Länder bereite. Das Argument leuchtete den Beamten ein.
Danach nahm Erika Chambers nacheinander Verbindung mit den Universitäten in Erlangen und Frankfurt auf, um sich
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