Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Entscheidungen zu treffen? Rettete der Giftanschlag des Mossad gewissermaßen das Leben der Deutschen in der Landshut ?
Unmittelbar nach dem glücklichen Ende der Entführung meldeten verschiedene Zeitungen im Mittleren Osten, Wadi Haddad sei von Carlos, dem venezolanischen Top-Terroristen, vergiftet worden, aus Rache für den Ausschluss aus der PFLP und um seinen Platz einnehmen zu können. Vielleicht sah sich der israelische Geheimdienst gezwungen, ein paar Nebelkerzen zu werfen, um jeden möglichen Verdacht, der Mossad könnte dahinter stecken, im Keime zu ersticken. Oder dem Umfeld Haddads war längst klar geworden, dass diese seltsame Erkrankung nur Folge eines Giftanschlags sein konnte. In einem späteren Stasi-Bericht (»streng geheim!«) werden dazu Details aufgeführt: »… Carlos soll … Mitverantwortung am Tod des ehemaligen Leiters der PFLP-Special Operations Wadi Haddad, genannt Abu Hani, tragen. Als Gast des algerischen Geheimdienstchefs soll Wadi Haddad im Beisein von Carlos und einer Verbindungsperson (unserer) Quelle 1977/78 ein zellzersetzender, im Blut nicht nachweisbarer Giftstoff verabreicht worden sein. Das mit Langzeitwirkung reagierende Mittel sei Ursache des schnellen körperlichen Verfalls und späteren Todes Wadi Haddads in der DDR gewesen.«
Tatsächlich hatte sich Haddad Anfang Oktober 1977, unmittelbar vor Beginn der Landshut -Operation, in Algier aufgehalten. Dort war eine von ihm in Auftrag gegebene und von Terroristen der japanischen Roten Armee ausgeführte Entführung des Fluges Japan Air Lines JL 472 unblutig zu Ende gegangen. Abu Hani sackte wieder einmal ein stattliches Lösegeld ein: sechs Millionen Dollar zahlte die Regierung in Tokio für die Freilassung der 156 Geiseln. Darüber hinaus wurden sechs Gesinnungsgenossen aus japanischen Gefängnissen freigelassen. Die Entführer wurden in Algier zunächst von Sicherheitskräften überwältigt, für die Augen der Weltöffentlichkeit, doch hinter den Kulissen warteten schon Haddad und sein Empfangskomitee.
Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass ihm ausgerechnet bei dem Freudenfest in Algier die vergifteten Pralinen aus Brüssel zum Nachtisch kredenzt wurden, und schon gar nicht durch Carlos. Gut möglich, dass die Israelis diese Mär in die Welt setzten – Desinformation gehört zu den Primäraufgaben jedes Nachrichtendienstes.
Die Chronologie des Giftmords, soweit sie sich überhaupt rekonstruieren lässt, macht eher einen früheren Termin Mitte bis Ende September 1977 für den Beginn der Intoxikation wahrscheinlich. Dabei besaß der Maulwurf des Mossad offenbar direkten Zugang zu Haddad – in Bagdad, nicht in Algier. Die spannende Frage: Könnte er etwas über die geplante Entführung einer Lufthansa-Maschine erfahren und an seine israelischen Auftraggeber weitergeleitet haben?
Aus einem Stasi-Bericht über die Befragung eines Freundes von Adnan Shatub, des »IM Mischa«: »Die im Zusammenhang mit dem Fall Schleyer erfolgte Entführung einer Lufthansamaschine sei von Angehörigen der PFLP durchgeführt worden … Nach Meinung von Shatub deuten bestimmte Umstände im Zusammenhang mit der Flugzeugentführung darauf hin, dass sich in der Führung der PFLP Verräter befinden.«
Bassam Abu Sharif erfuhr viele Jahre später von einem Mossad-Offizier, »dass dieses Gift Wadi Haddad von jemandem untergeschoben wurde, der sehr engen Umgang mit ihm hatte. Mein Gesprächspartner nannte keinen Namen, lehnte sogar ab, dessen Nationalität preiszugeben. Aber er sagte: Die Beziehung war sehr, sehr eng.« Ein solcher Verrat habe ihn »natürlich schockiert!«
Wurden Informationen über die geplante Entführung der Landshut , über die der Mossad womöglich verfügte, nur deshalb nicht an die Deutschen weitergeleitet, weil damit das Leben des »Verräters«, der seinem Chef soeben den Giftkelch überreicht hatte, akut gefährdet schien? Die Überschneidung der langsamen Exekution Abu Hanis mit dem »Deutschen Herbst« bietet jedenfalls ausreichend Stoff für einen großen Agententhriller. Gab es eine israelische Verschwörung, oder ist alles nur Verschwörungstheorie?
Bonn-Bad Godesberg, 1. Oktober 1977, zwölf Tage vor der Landshut -Entführung in Palma. In der damaligen Terrorismus-Abteilung des Bundeskriminalamtes (»Sicherungsgruppe Bonn«) in der Friedrich-Ebert-Straße, direkt gegenüber vom Bahnhof Bad Godesberg, gehen alarmierende Meldungen ein. Sie kommen aus Washington, nicht aus Tel Aviv. Das BKA setzt sofort alle
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