Lloyd, Sienna
Ja, es wird wirklich Zeit, dass wir miteinander sprechen. Ich habe heute einen wichtigen Termin, doch heute Abend habe ich Zeit, wenn du Lust hast. Treffen wir uns um 18:00 im Narval?
Küsschen,
Héloïse
Ich springe unter die Dusche und freue mich, dass ich an etwas anderes denke als nur an Gabriel. Er nimmt mich schon jede Nacht in Beschlag und der Entzug von ihm ist alles andere als einfach für mich. Er hat die Büchse der Pandora geöffnet und ich verzehre mich nach ihm, nach seinem Körper, nach uns. Ich brauche neue Perspektiven, um meine Leidenschaft zu zügeln: Ich sehe mir Filme mit Magda und Sol an, ich treffe mich mit Macjals und gehe mit Mélanie etwas trinken, das wird mich ablenken. Als ich wieder in mein Zimmer gehe, finde ich Autoschlüssel und eine kleine Botschaft von Charles.
Für deinen Termin, mein Schätzchen. Treffen wir uns morgen in der Stadt zum Mittagessen, damit du mir erzählen kannst, wie es mit Macjals gelaufen ist?
Bald werde ich wohl einen Terminkalender brauchen! Charles ist so nett, er denkt einfach an alles, auch wenn ich auf etwas nicht vorbereitet bin. Ich habe keine Sekunde daran gedacht, dass es sich gehört, mit einem Auto zum Termin mit Macjals zu fahren. Vielleicht hätte ich mich auf meine rudimentären Joggingfähigkeiten verlassen, um dann verschwitzt im Büro des Literaturpapstes aufzutauchen … Mélanie hat mir geantwortet, ich werde sie heute Abend wiedersehen und bin deswegen gleichermaßen gestresst und aufgeregt. Zuletzt hat sie ein trauriges, kränkliches Mädchen erlebt, das niemals ausging, außer vielleicht, um zu lernen. Jetzt wird sie ein ganz neues Ich kennenlernen.
Ich habe mich für einfache Jeans, einen schwarzen Rollkragenpulli und einen hohen Pferdeschwanz entschieden und fahre hinunter zum Parkhaus. Ich trage auch meine Dior-Jacke, die ich gar nicht mehr ausziehen will, weil sie mir Glück bringt, und natürlich Gabriels Collier. Im Untergeschoss drücke ich auf die Fernsteuerung am Schlüsselanhänger, um herauszufinden, welches Auto Charles für mich bereitgestellt hat. Als sich der kleine schwarze Porsche meldet, verfluche ich ihn im Stillen. Ich habe noch nie ein Auto gefahren, das weit mehr als zehn Jahresgehälter kostet, und von Zurückhaltung will ich gar nicht erst anfangen! Charles weiß ganz genau, dass dies für mich ein Danaergeschenk ist! Er muss sich am Boden wälzen vor Lachen beim Gedanken daran, wie ich dieses Auto mit 40 km/h und gesenktem Blick lenke.
Ich steige in den Boliden ein. Als der Motor aufheult, weiß ich, dass dies wohl eine spritzige Fahrt sein wird. Ich muss das Pedal nur leicht berühren, und das Auto startet sofort durch. Als ich auf der Allee bin, würge ich den Motor mehrmals ab und brülle vor Lachen, als ich mir vorstelle, wie Sol, Magda und Charles mich und meine Unfähigkeit durch das Fenster amüsiert beobachten. Ich steige aus dem Auto aus, sehe mich um und erstarre, als ich Rebecca und Gabriel sehe, die mich vom Fenster aus mit ihren Blicken töten zu wollen scheinen. Erst nach einigen Sekunden wird mir bewusst, dass es Edgar sein muss. Entmutigt steige ich wieder ein und zögere keine Sekunde, bevor ich mit hoher Geschwindigkeit wegrase. Beim Anblick dieser beiden unheimlichen Personen gefriert mir das Blut in den Adern, ich will sie aus meinem Kopf verbannen, um mich besser auf das Wesentliche zu konzentrieren: Ich will heil an meinem Ziel ankommen.
* * *
In der rue du Temple sind Parkplätze für die Besucher des Verlagshauses Macjals reserviert, und als ich mich bereits auf einem der freien Plätze einparken will, bemerke ich ein kleines Schild mit der Aufschrift „Mademoiselle Hélo Ise“.
Das Gebäude sieht seltsamerweise aus wie eine Pariser Universität, man könnte fast meinen, es sei eine perfekte Kopie der Sorbonne. Eine Marmortreppe, Stuck, ein glänzender, knarrender Boden. Die Empfangsdame ist ein bekanntes russisches Model, das ich von Reklametafeln für das Parfum
Haute Couture
kenne. Ich bin ganz sicher, dass sie es ist!
„Guten Tag und willkommen!“, begrüßt sie mich mit einem russischen Akzent, der meine Vermutung bestätigt.
„Guten Tag, ich habe einen Termin mit Monsieur Macjals. Mein Name ist …“
„Ja, ich weiß, gehen Sie über die Treppe gegenüber hinauf, es ist das einzige Büro auf der Etage. Klopfen Sie drei Mal, er erwartet Sie bereits.“
„Danke.“
Ich klopfe drei Mal an der schweren Türe, die wohl angefertigt wurde, um mittelalterlichen Rammböcken
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