Lob der Faulheit
sich an Disziplin gewöhnen«, »für Disziplin sorgen«.
Und was heißt Zucht? »Erziehung zum Gehorsam«. Als Synonym für Disziplin finden wir den Begriff in Redewendungen wie »Zucht halten«, »jemanden an Zucht gewöhnen«, »hier herrscht Zucht und Ordnung«. Bis 1969 gab es noch das »Zuchthaus«, eine Strafanstalt für Schwerverbrecher.
Diese Definitionen und Redewendungen verheißen nichts Gutes. Wo Zucht und Ordnung herrschen, ist es mit dem Spaß vorbei. Gehorsam und Unterordnung galten in früheren Jahrhunderten als Erziehungsziele. Was mit »gehorsam« gemeint ist, auch daran lässt Wahrigs Wörterbuch keinen Zweifel: »willig, gehorchend, folgsam, fügsam« (»den Eltern gehorsam sein«, »Ihr gehorsamster Diener!«).
Disziplin, Zucht und Ordnung sowie Gehorsam standen in allen Bereichen des Lebens, besonders in der Familie, in der Schule, in den Betrieben und beim Militär hoch im Kurs. Bis 1989 hatte es die Demokratie in Deutschland schwer. Kaiser und Diktatoren regierten das Volk. In den Familien herrschte der Patriarch. Die
Untertanen wurden zum Gehorsam erzogen. Es herrschte eiserne Disziplin. Wenn jemand nicht spurte, wurde für Ordnung gesorgt. Wer völlig auf die schiefe Bahn geriet, kam ins Zuchthaus.
Juristisch gesehen waren Schule, Militär und Familie bis in die jüngste Vergangenheit »besondere Gewaltverhältnisse«. Befehl und Gehorsam kennzeichneten den Umgang in einer undemokratischen Gesellschaft. Disziplin wurde, wenn es sein musste (und es musste oft sein!), mit Gewalt erzwungen. Für Schüler, Soldaten und Kinder gab es nur begrenzten Rechtsschutz.
Auch die katholische Kirche beschwört die Ideale von Disziplin, Zucht, Ordnung und Gehorsam. Man vergisst leicht, dass die katholische Kirche bis heute eine straff geführte Organisation mit einem unfehlbaren Papst an der Spitze ist. Ein besonderes Kirchenrecht bewahrt sie vor allzu demokratischen Regelungen. Die Erziehungsanstalten lagen oftmals in den Händen von Priestern. So schließt sich der Kreis. Noch immer schreiben katholische Theologen Lobeshymnen auf die Disziplin.
Machtmissbrauch ist für undemokratische Verhältnisse wesenseigen. Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut. Deshalb muss Macht geteilt werden. In einer demokratischen Gesellschaft müssen Über- und Unterordnungen gerechtfertigt werden und dürfen keinesfalls den Normalfall darstellen. Vielmehr sind Gleichberechtigung und Dialog für Demokratien typisch. So gesehen können Disziplin und Gehorsam nicht die Grundlagen eines demokratisch verfassten Staates und seiner Institutionen sein.
Nachdem das Volk 1989 die letzte Diktatur auf deutschem Boden gestürzt hat, sind äußerlich die Voraussetzungen geschaffen,
auf zuchthausähnliche Verhältnisse zu verzichten. Leider ist der Demokratisierungprozess damit nicht abgeschlossen; denn jeder, der einmal eine Diktatur erlebt hat, sei es im Staat, im Militär, in der Kirche, Familie oder Schule, hat diese zumindest teilweise verinnerlicht.
Die inneren Gewaltherrscher verschwinden nicht automatisch mit den äußeren. Deshalb ist es notwendig, sich von ihnen ebenfalls zu befreien. Warum sollte man um Himmels willen Selbstdisziplin lernen? Um sich selbst zu knechten? Um sich an Zucht und Ordnung zu gewöhnen? Ein folgsamer Untertan zu werden? Es wäre doch absurd, wollte man einen Teil von sich zu seinem gehorsamsten Diener machen, während ein anderer wie ein Despot regierte. In diesem Fall würde im Innersten die Diktatur weiterleben.
Disziplin lässt sich nicht positiv umdeuten. Sie ist aufs engste mit einer Erfahrungs- und Erlebniswelt verbunden, die zum Glück als weitgehend überwunden gelten kann. Niemand braucht sie. Motivation, innerer Dialog, Selbstermutigung und ähnliche Konzepte können die Disziplin ersetzen. Wer die neuen Formen des Umgangs mit sich selbst nicht kennt, neigt leider dazu, quasi selbst mit dem Rohrstock hinter sich zu stehen, sich mit Einschüchterung und schlechtem Gewissen zu manipulieren oder sich jemand zu suchen, der ihm in den Allerwertesten tritt.
Dass Disziplin ein Wert sei, gar ein hoher, ist nichts weiter als ein Mythos. Nichts daran ist gut. Wo der eiserne Wille bemüht wird, sucht der Spaß das Weite. Das Leben wird grau und freudlos. Die Anhänger der Disziplin reden in diesem Zusammenhang gern vom Ernst des Lebens. Das passt. Sie betonen
gerne die Pflichten (weniger die Rechte), schwärmen von den Zeiten als noch Zucht
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