Lob der Faulheit
jedoch umstritten, ob er überhaupt gelebt hat, und wenn, ob er der Urheber dieser Philosophie ist oder mündlich überlieferte Grundsätze einfach nur aufgeschrieben hat. Letztlich verlieren sich die Wurzeln des Taoismus in grauer Vorzeit. Das hat seinen eigenen Reiz. So sind diese Erkenntnisse keine Modeerscheinung, sondern zeitlos.
In der westlichen Welt mühen sich viele, als Urheber bestimmter Gedanken zu gelten und Originalität für sich in Anspruch zu nehmen. Im Grunde bleiben die Fragen und Antworten der Menschen jedoch stets dieselben. Der Rest ist nur Formulierung, siehe die 24 deutschen Übersetzungen des Tao te king. (Im Inhaltsverzeichnis → Laotse, Tao te king finden Sie die Internet-Adresse. Sie können jederzeit eine weitere Übertragung hinzufügen, wenn Ihnen danach ist.) Westliche Wissenschaftler gefallen sich darin, endlose Zitatenlisten und Literaturverzeichnisse anzufertigen, als ob Wissen einem Einzelnen zugeordnet und zum Besitz gemacht werden könnte.
Was taoistische Lehrer als Nicht-Tun bezeichnen, nenne ich Faulheit. Nur das Wesentliche zu tun und alles andere zu lassen, sich nicht zu zwingen, sondern dem zu folgen, was sich spontan ergibt: Das macht große Freude.
Auf diese Weise ist auch dieses Buch entstanden. Ich habe dem Verlag die Idee mitgeteilt. Sie gefiel. Binnen einer Woche standen das Konzept, der Titel und das Cover. Normalerweise dauert das alles Monate, wenn nicht Jahre. Das Schreiben bereitete mir keine Mühe. Nebenbei bin ich umgezogen. Und doch war das Manuskript bin- nen zwei Monaten fertig. Es schrieb sich fast von allein. Disziplin hätte dem Prozess geschadet. Meine Aufgabe war es, mich nicht einzumischen.
Inspiriert hat mich dabei das Buch »Goal-free living« von Stephen Shapiro. Ziellosigkeit ist zwar eine gewisse Übertreibung. Aber das Prinzip, mit einer Idee zu beginnen und sich dann treiben zu lassen, ermöglicht ein sehr entspanntes Handeln. Man strengt sich nicht an und doch formt sich das Werk, und zwar noch besser, als man es ursprünglich geplant hatte. Ich bin sicher, dass viele LeserInnen die Gelassenheit, die dem Buchkonzept innewohnt, spüren und auch die Freude empfinden, die mit positiver Faulheit verbunden ist.
Der Buddha nannte es Meditation
Eine andere Form des produktiven Nichts-Tuns ist die Meditation. Sie kann von jedem praktiziert werden. Meditative Übungen sind keiner bestimmten Religion zuzuordnen, auch wenn die meisten sie in einem Yoga-Kurs oder einem buddhistischen Zentrum lernen. Zu lernen gibt es dabei eigentlich wenig. Man sucht sich einfach ein Meditationsobjekt, zum Beispiel den Atem, und konzentriert sich darauf. Wenn man abschweift, kehrt man dahin zurück. Das ist alles. Man kann dabei nichts falsch machen. Der einzig mögliche Fehler besteht darin, nicht zu meditieren.
Allerdings missverstehen viele, was es bedeutet, sich zu konzentrieren. Damit ist nicht gemeint, sich zu verkrampfen. Man entspannt sich und achtet auf den Atem. Man spürt das Einatmen, das Ausatmen und die Pausen zwischen den beiden Atemphasen. Das Atmen geschieht ohne das eigene Zutun. Man beobachtet es ohne Anstrengung.
In unserer Leistungsgesellschaft haben die meisten verlernt, sich mühelos zu konzentrieren. »Streng dich an! Konzentrier dich!« bekommen viele von ihren Eltern und Lehrern zu hören, als ob dies zusammengehören würde. Dabei ist Konzentration eine Funktion des Geistes und dieser »arbeitet« ohne Anspannung. Das Gehirn besitzt keine Muskeln. Deshalb sind Ausdrücke wie »Willensstärke«, »den Willen anspannen« oder »Willensanstrengung« schon vom Ansatz her verfehlt.
Nur in Notsituationen, wenn es gilt, einen Angriff oder eine Flucht vorzubereiten, verengt sich die Konzentration auf einen
einzigen Punkt, und die Muskeln spannen sich an. Für viele ist eine derartige Krisenreaktion leider zum Normalfall geworden. Die Folge sind chronische Erschöpfungszustände, psychische und körperliche Zusammenbrüche sowie andere durch Dauerstress hervorgerufene Krankheiten.
Beim Meditieren ist es erlaubt, neben dem Meditationsobjekt noch Anderes wahrzunehmen. Der Fokus der Aufmerksamkeit bleibt weit offen. Nur so ist es möglich, entspannt zu bleiben oder überhaupt erst Entspannung zu erfahren.
Herbert Benson, ein amerikanischer Arzt, der unter anderem an der Harvard Medical School lehrte und das Mind/Body Medical Institute in Boston gründete, hat schon vor etwa 40 Jahren herausgefunden, dass es
Weitere Kostenlose Bücher