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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Eindringen unmöglich zu machen. Die Warnlampen vor der Umzäunung müssen EINGESCHALTET sein…
     
    Der Rest war verschüttet, aber der erste Satz war schon genug für Bruder Francis gewesen. Er hatte niemals den »Niederschlag« gesehen, und er hoffte, ihn niemals erblicken zu müssen. Eine verbürgte Beschreibung des Ungeheuers war nicht überliefert, aber Francis hatte die Sagen vernommen. Er bekreuzigte sich und lief von der Öffnung weg. Die Überlieferung besagte, daß selbst der selige Leibowitz einen Niederschlag zu bestehen hatte und daß er viele Monate von ihm besessen war, bis ein Exorzismus, der bei seiner Taufe vorgenommen worden war, den Widersacher ausgetrieben hatte.
    Bruder Francis stellte sich einen Niederschlag als halb salamanderartiges Wesen vor, da dieses Wesen der Überlieferung nach durch die Feuerflut geboren worden war, und als halben Incubus, der Jungfrauen im Schlaf überfiel. Denn hießen die Mißgeburten auf der Erde nicht immer noch »Kinder des Niederschlags«? Es galt als Tatsache, wenn nicht sogar als Glaubensartikel, daß dieser böse Geist die Kraft hatte, alle Prüfungen, die einst Hiob heimgesucht hatten, auf die Menschen zu werfen.
    Der Novize starrte entsetzt auf das Schild. Seine Bedeutung war klar genug. Unabsichtlich war er in die Behausung (hoffentlich unbewohnt, flehte er) nicht nur eines, sondern gleich von fünfzehn dieser schrecklichen Wesen eingedrungen. Er griff zur Kapsel mit Weihwasser.
     

2
     
    »A spiritu fornicationis,
    Domine, libera nos.
    Von Blitz und Unwetter,
    O Herr, erlöse uns.
    Von der Plage des Erdbebens,
    O Herr, erlöse uns.
    Von Pest, Hungersnot und Krieg,
    O Herr, erlöse uns.
     
    Vom Detonationspunkt der Bombe,
    O Herr, erlöse uns.
    Vom Regen voll Kobalt,
    O Herr, erlöse uns.
    Vom Regen voll Strontium,
    O Herr, erlöse uns.
    Vom niedersinkenden Cäsium,
    O Herr, erlöse uns.
     
    Vom Fluch des Niederschlags,
    O Herr, erlöse uns.
    Von der Zeugung der Mißgeburten,
    O Herr, erlöse uns.
    Vom Fluch der Mißgestalteten,
    O Herr, erlöse uns.
    A morte perpetua,
    Domine, libera nos.
     
    Peccatores,
    te rogamus, audi nos.
    Daß Du uns erretten mögest,
    flehen wir zu Dir, erhöre uns.
    Daß Du uns vergeben mögest,
    flehen wir zu Dir, erhöre uns.
    Daß Du uns zur wahren Buße führen mögest,
    te rogamus, audi nos.«
     
    Stücke solcher Versikel aus der Litanei der Heiligen kamen mit jedem schweren Atemzug flüsternd von den Lippen des Bruders Francis, als er sich behutsam in das Treppenhaus des alten Schutzbunkers hinabließ. Er war mit Weihwasser und einer behelfsmäßigen Fackel bewehrt, die er an der Glut unter der Asche vom Feuer der letzten Nacht entzündet hatte. Länger als eine Stunde hatte er auf jemanden aus der Abtei gewartet, der sich nach der Staubwolke erkundigte. Niemand war gekommen.
    Er durfte die Wache der Berufung nicht einmal für kurze Zeit verlassen, es sei denn, er wäre ernsthaft erkrankt oder ihm würde befohlen, zur Abtei zurückzukehren. Ein Verlassen wäre ipso facto als Widerruf seines Verlangens nach wirklicher Berufung betrachtet worden, als Mönch des Albertinischen Ordens vom seligen Leibowitz zu leben. Der Tod wäre Bruder Francis lieber gewesen. So war er vor die Wahl gestellt, entweder die furchterregende Höhle vor Sonnenuntergang zu untersuchen oder die Nacht in seinem Bau zu verbringen, ohne zu wissen, was nun im Bunker im Hinterhalt liegen und wiedererwachen könnte, die Dunkelheit zu durchstreifen. Als nächtliche Gefahr bereiteten ihm die Wölfe schon genug Sorgen, und die Wölfe waren bloße Geschöpfe aus Fleisch und Blut. Wesen von weniger bestimmter Körperlichkeit wollte er lieber bei Tageslicht gegenübertreten. Obwohl natürlich Tageslicht die Höhle nur unzulänglich beleuchtete, da die Sonne schon tief im Westen stand.
    Die Trümmer, die in den Bunker hinabgestürzt waren, bildeten einen Abhang, dessen Scheitel nahe der ersten Treppenstufe lag. Zwischen Decke und Gesteinsmassen war nur ein enger Durchlupf geblieben. Er zwängte sich mit den Füßen voran hindurch und war wegen der Steilheit des Hanges gezwungen, mit den Füßen voraus tiefer einzudringen. So trat er dem Unbekannten mit dem Rücken vors Gesicht. Er suchte Halt in dem lockeren Steinhaufen, bahnte sich allmählich den Weg nach unten. Wenn seine Fackel gelegentlich schwach flackerte, blieb er stehen und hielt sie nach unten, um der Flamme neue Nahrung zu geben. Während solcher Unterbrechungen suchte er die Gefahr um ihn herum

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