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Der 7. Tag (German Edition)

Der 7. Tag (German Edition)

Titel: Der 7. Tag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Der Abend vor meinem Prozess
     
    Morgen beginnt mein Prozess. Ich höre wohl den Klang seiner
Worte, aber ich verstehe ihren Sinn nicht: Ullrich Henke, mein alter Freund
Ulli. Was mir vor allem Mut macht, sind die Marlboros, die er mir mitgebracht
hat. Meine Gedanken wandern zurück zu jenem heißen Sommertag im August 1999.
     
    Meine beste Freundin Gabi und ich waren über das Wochenende
zum Timmendorfer Strand gefahren. Ich versuchte mein uraltes Spider-Cabrio in
eine viel zu kleine Parklücke gegenüber dem Café Engelseck zu zwängen. Die Ärzte
sangen „Männer sind Schweine“ und wir sangen laut mit. Nachdem ich ungefähr
zehnmal vor und zurück gesetzt hatte, nahm mir jemand meine Zigarette aus der
Hand. ‚“Mit der Fluppe wird das nie was“, sagte eine angenehm tiefe Stimme. Ich
schaute hoch in ein Paar dunkelbraune Augen, verwechselte Kupplung mit Bremse
und saß hinten drauf. „Scheiße“, sagte die Stimme, „jetzt hast Du’s geschafft,
Mädel. Das war übrigens mein Auto.“ So lernte ich Ullrich Henke kennen. Noch am
selben Abend lernte er meinen Körper kennen.
     
    Ulli hat mir die Zeitungsausschnitte mitgebracht. Ich habe
ihn gut erzogen: Jeder Artikel ist fein säuberlich ausgeschnitten, aufgeklebt,
oben gibt es eine Datumszeile mit der Angabe des Mediums. Es ist ein dicker
Packen und sein Geruch beruhigt mich. Zeitungsausschnitte beruhigen mich immer,
sie sind mein Beruf. Oder eigentlich müsste ich sagen, waren mein Beruf. Denn
ich kann ihn nicht mehr ausüben. Wer will schon eine Pressesprecherin haben,
deren Name mit Unterschlagung im großen Stil und jetzt sogar mit Mord in
Zusammenhang gebracht wird.
    Der Konzern, für den ich gearbeitet habe, wollte mich
jedenfalls nicht mehr. „Sie müssen verstehen, Frau Thalheim,...“ Ja, ich hatte
verstanden. Weltkonzerne können sich familiäre Katastrophen nicht leisten. Und
wir waren ja nicht ganz unbekannt. Michael und Sybille Thalheim. Der Staranwalt
und die Pressesprecherin. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht einer von uns
in den Zeitungen zitiert wurde, an dem nicht einer von uns sein Gesicht in die
Kameras halten musste. In den In-Restaurants bekamen wir immer die guten
Plätze, wir standen auf allen wesentlichen Einladungslisten der Stadt.
     
    Wer hoch steigt, kann tief fallen.

Presseagentur:

Thalheim-Prozess mit Spannung erwartet
     
    Berlin -
Morgen beginnt vor dem Schwurgericht Berlin der Prozess gegen Sybille Thalheim.
Der 38jährigen wird vorgeworfen, ihren Ehemann, den Notar Michael Thalheim
(48), im vergangenen Februar in Berlin erstochen zu haben. Michael Thalheim
wurde von der Polizei im Zusammenhang mit der Unterschlagung von
Mandantengeldern in Höhe von 9,6 Millionen Euro gesucht. Die Angeklagte
bestreitet bisher das ihr zur Last gelegte Verbrechen.

 
     
    Alle Zeitungen haben die Agenturmeldung wörtlich übernommen.
Zwei Berliner Zeitungen haben die Meldung noch mit einem Foto von mir
dekoriert. Die Frau, die mich von diesem Foto aus anschaut, hat nichts mehr mit
mir zu tun. Meine kurzen, braunen Wuschellocken sind zu einer strähnigen Mähne
verkommen, die ich mühsam jeden Morgen mit einem Gummiband zusammenbinde. Das
optimistische Lächeln ist mir vergangen und die Schatten unter meinen Augen
werden immer größer. Früher habe ich so gern mit meinen „Rehaugen“ kokettiert.
Ach Ulli.
    „Du weißt, was wir besprochen haben. Versuch‘ heute Nacht zu
schlafen und mach dich morgen früh gut zurecht. Ich will, dass du aussiehst wie
eine leidende Madonna“, sagt Ulli.
    „Verdammt, ich bin eine leidende Madonna“, gebe ich zurück.
    Ulli nimmt mich zum Abschied in den Arm. Wie gut ich ihn
kenne, seinen Geruch, seine Gesten, seine Sprüche. Seit jenem Sommertag vor
zehn Jahren ist Ulli mein Freund. Auch wenn unsere Beziehung ein Unfall war,
der mich geradewegs in die Katastrophe schlittern ließ: Michael. Er hat immer
gesagt, Ulli sei der verdammt beste Strafverteidiger, den diese Republik zu
bieten habe.
    Ich hoffe, wenigstens das war nicht gelogen.

1. Buch

Der erste Prozesstag
     
    Die Meute wartet schon auf mich. Früher habe ich mich immer
gefreut, wenn ich die Fotografen und Kamerateams getroffen habe. „Bille, hier“,
ruft Harald von Deutschlands beliebtestem Revolverblatt, um mich dazu zu
bewegen, in seine Kamera zu schauen. „Bille, zu mir auch, huhu, ich bin dran“. Wolfi
von der Presseagentur.
    Wie immer drängeln und schieben sie. Ich kann mir doch nicht
die Jacke über den Kopf ziehen,

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