Lockende Kuesse
»Geh jetzt. Ich bin da, falls du mich brauchst.«
Es war ein warmer, sonniger Nachmittag im Mai. Kitty hatte endlose Stunden mit dem alten Tom, ihrem Gärtner zugebracht, denn sie wollte einen Schmetterlingsgarten anlegen. Der Alte war äußerst skeptisch, als sie ihm erzählte, dass auf den Westindischen Inseln Gärten mit speziellen Blumen angepflanzt wurden, nur um Schmetterlinge anzulocken.
»Wir können Mauerpfeffer dafür nehmen, dann Mannstreu und Himmelsleiter, dahinter Skabiose. Und vorne vielleicht Kriechpflanzen wie Phlox, Moos und Steinkresse. Dann gibt's noch ein paar gute Saisonblüher wie Verbena, Cosmos, Mauerblümchen und wie heißen diese roten ... ach ja, Weidenröschen!«
»Das funktioniert hier nicht; hier haben wir keine Schmetterlinge - nur diese weißen Dinger, die die Kohlköpfe auffressen!«, sagte er dickköpfig.
»Ach, Tom, Sie sind doch Gärtner. Wie können Sie so etwas sagen? Wir haben hier den Roten Admiral, den Distelfalter, den amerikanischen Fuchs, den Blaufalter und den Trauermantel, um nur ein paar zu nennen.«
Ihr Leib war jetzt ziemlich dick, und das Gehen fiel ihr schwer, doch sie sah nun glücklicher und zufriedener aus als zuvor. Da kam Charles Patrick angerannt. Sie nahm ihn bei der Hand, und zusammen gingen sie zum Flussufer, um die Schwäne zu füttern.
»Wenn du das Baby kriegst, dann bin ich doch nicht mehr das Baby, stimmt's?«, fragte er glücklich.
»Liebe Güte, du bist doch schon längst nicht mehr das Baby«, versicherte sie ihm klugerweise. Später an diesem Abend, als sie auf ihren schlafenden Sohn hinabblickte, flüsterte sie: »Kleiner Patrick, wie sehr du doch deinem Vater ähnlich siehst. Und jetzt, Gott helfe mir, werde ich noch einen kleinen O'Reilly in die Welt setzen.«
Charles zog sich lautlos aus der dunklen Ecke zurück, in der er gestanden hatte und ging in sein Schlafzimmer. Ein lauter Knall ertönte. Kittys Kopf zuckte überrascht hoch, dann rannte sie auch schon den Gang entlang zu Charles' Schlafzimmer, eiskalte Angst umkrallte ihr Herz. Noch beim Rennen rief sie laut nach Katie. Zögernd drehte sie am Türknauf, wusste sie doch, noch bevor sie hineinsah, was sie dort vorfinden würde. Katie stand hinter ihr, als sie die Tür öffnete, und sogleich entsetzt wieder zuzog.
»Hol einen Arzt! Schnell! Schnell!«
Als Katie die Treppe runterrannte, rief sie: »Wie heißt noch sein Hausarzt? Mein Kopf ist wie leer gefegt.«
»Nein, nein, sein Hausarzt wohnt in der Harley Street. Geh nur rasch über den Vorplatz. Das große Haus an der Ecke hat erst kürzlich ein Arzt gekauft«, erwiderte Kitty atemlos.
Mimi kam die Treppe hinauf gerannt. »War das ein Schuss?«
»Ja, ja. Ein schrecklicher Unfall. Geh und schau nach Charles Patrick. Er soll ja nicht sein Zimmer verlassen!«
Kitty war ganz grau im Gesicht. In ihrem Kopf schrie es immerzu: »Nein, nicht Charles! Bloß nicht Charles!«
Zwei Hausdiener tauchten auf, doch sie wies sie zurück. »Ich gehe zu ihm. Ihr bleibt hier.«
Sie betrat das Zimmer und begann auf Charles einzureden. »Es wird alles gut, Liebling, ich habe um Hilfe geschickt. Es ist gut, du wirst nicht sterben. Das lasse ich nicht zu.« Es war kein Blut zu sehen. Die Pistole lag neben Charles auf dem Boden. Das Loch war so winzig, es konnte unmöglich einen solchen Schaden angerichtet haben. Er lag sehr still da. Wegen ihres dicken Leibs konnte sie sich nicht zu ihm auf den Boden setzen. Sie zog die Decke vom Bett und legte sie über ihn, um ihn warm zu halten. »Der Doktor kommt gleich, Charles. Halt durch, um Gottes willen, halt durch«, bettelte sie. Sie nahm seine Hand und hielt sie ganz fest. Die ganze Zeit über wusste sie, dass er nicht bloß bewusstlos war, doch sie klammerte sich verzweifelt an ihre Hoffnung. Wenn nur noch ein wenig Leben in ihm war, dann würde sie ihn wieder zurückholen. Wie betäubt blickte sie auf, als Katie den Doktor ins Zimmer führte. Sie musste halluzinieren! Das alles war doch schon mal passiert! Otis Grant-Stewart stand auf der Schwelle. Er blickte die junge Frau, die vor ihm stand, an, und man sah, wie er sich erinnerte.
Kitty hob hilflos die Hände. »Bitte, helfen Sie ihm!«, flehte sie.
Er untersuchte kurz den reglosen Körper.
»Wir begegnen einander immer unter den gleichen Umständen, Madame«, sagte er kalt.
»Er kann nicht tot sein«, sagte sie fest.
»Doch, das ist er gewiss, Madame«, sagte er.
»So tun Sie doch was, irgendwas!«, befahl sie.
»Ja, tatsächlich, das
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