Lockende Zaertlichkeit
weiß schon nicht mehr, was ich mit Sally machen soll."
"Ich glaube, deine Tochter braucht nur etwas Zeit", gab Olivia zu bedenken. "Ich sollte jetzt besser gehen. Dann kannst du noch einmal in Ruhe mit ihr reden."
Marcus sah sie eindringlich an. "Willst du wirklich gehen?"
Olivia nickte. "Ich glaube, das wird das Beste sein."
"Ich habe nicht gefragt, was du glaubst, sondern was du willst", beharrte Marcus. "Also, willst du wirklich gehen?"
Olivia senkte den Blick. "Nein."
Da lächelte Marcus wieder. "Das wollte ich hören. Weißt du, normalerweise bleibt meine Haushälterin hier, wenn ich abends nicht zu Hause bin. Nur heute konnte sie nicht bleiben. Aber morgen Abend könnten wir zusammen essen gehen. Was meinst du?"
Olivia sah ihn an und war wie hypnotisiert von seinen faszinierenden grauen Augen. "Ja", flüsterte sie atemlos. "Ich möchte mit dir essen gehen."
Und so kam der erste von vielen Abenden, die Olivia mit Marcus verbrachte. Beim Abschied gab er ihr jedes Mal einen freundschaftlichen Kuss, aber niemals küsste er Olivia so leidenschaftlich wie an jenem ersten Abend, an dem sie zu ihm nach Hause gekommen war.
Marcus hatte Olivia gebeten, ihre Beziehung vorerst geheim zu halten, um Tratsch im Krankenhaus zu vermeiden. Olivia wurde von ihren Kolleginnen zwar hin und wieder wegen ihres geheimnisvollen Freundes geneckt, doch sie machte sich nichts daraus. Wenn sie den anderen gestanden hätte, dass Marcus Hamilton dieser heimliche Freund war, hätte ihr wahrscheinlich ohnehin niemand geglaubt. Olivia konnte ja selbst kaum fassen, dass dieser Mann sich für ein so einfaches Mädchen wie sie interessierte.
Sally hatte sich strikt geweigert, Olivia näher kennen zu lernen, und in Anbetracht der Umstände konnte Olivia das Mädchen sogar verstehen. Sie war ja selbst nicht einmal sicher, welche Rolle sie in Marcus' Leben spielte. Olivia wusste nur, dass er im Moment einen Menschen brauchte, der ihm zuhörte, wenn er frustriert oder enttäuscht war. Über seine Frau sprach Marcus allerdings nie, und Olivia wusste nicht, ob er es aus Bitterkeit nicht tat oder nur aus Desinteresse.
Dann kam der Tag, an dem sich ihre Beziehung drastisch änderte. Marcus hatte Olivia angerufen, um ihre Verabredung für den Abend abzusagen.
"Meine Schwiegermutter ist ganz unerwartet gekommen, um Sally zu besuchen", erklärte er missmutig. "Und das kann ich ihr beim besten Willen nicht verweigern, schließlich ist sie Sallys Großmutter."
"Natürlich, das verstehe ich", erwiderte Olivia enttäuscht und wurde sich in diesem Moment zum ersten Mal bewusst, was es bedeutete, mit einem verheirateten Mann befreundet zu sein.
Schämte Marcus sich vielleicht, eine Freundin zu haben, die erst achtzehn Jahre alt war? War es ihm deshalb so wichtig, dass niemand von ihrer Beziehung erfuhr?
Marcus schwieg eine Weile, dann sagte er plötzlich: "Weißt du was? Wir machen es anders. Du kommst zu mir und lernst Sybil kennen. Dann wirst du verstehen, warum ich dir das lieber erspart hätte."
Marcus sollte Recht behalten. Sybil Carr, eine überaus vornehme und elegante Frau von fünfundfünfzig Jahren, ließ Olivia ihre Ablehnung deutlich spüren. Und Sally, die sich zum gemeinsamen Abendessen hatte überreden lassen, genoss es sichtlich, dass ihre Großmutter Olivia so herablassend behandelte. Als Marcus später kurz nach oben ging, um Sally Gute Nacht zu sagen, nutzte Sybil Carr die Gelegenheit, um Olivia vor "reifen Männern" zu warnen, die angeblich versuchten, mit einer Beziehung zu einem jungen Mädchen ihre Jugend zurückzugewinnen. Olivia war die ganze Situation so unangenehm, dass sie froh war, als der Abend endlich vorüber war und Marcus sie nach Hause brachte.
"Und - wie findest du Sybil?" fragte Marcus schließlich, als sie im Auto saßen.
"Du hattest Recht, ich hätte nicht kommen sollen", gab Olivia frustriert zu. "Deine Schwiegermutter hat mir klargemacht, wie unsinnig unsere Beziehung sei. Sie ist davon überzeugt, dass du früher oder später zu deiner Frau zurückkehren wirst."
Da wurden Marcus' Züge hart. "Ruth hat mich verlassen, nicht ich sie."
"Und wenn sie zu dir zurückwill?"
"Davon war nie die Rede."
"Aber..."
"Olivia, ich möchte nicht über meine Frau sprechen", fiel Marcus ihr ungeduldig ins Wort. "Sie hat mit meiner Beziehung zu dir nichts zu tun. Ganz egal, was Sybil gesagt hat - du solltest ihrem Gerede keine Bedeutung zumessen."
Sybils Worte hatten Olivia jedoch zutiefst verunsichert. Sybil hatte
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