Lockende Zaertlichkeit
die Brille aus der Hand. "Ich ... ich ziehe mich nur schnell um, ja?
Dann können wir ein bisschen in den Garten gehen, wenn Sie möchten."
"Nein", widersprach Marcus barsch. "Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich das nicht will."
"Aber Jasper wäre außer sich vor Freude, wenn Sie zu ihm in den Garten kämen", versuchte Olivia es erneut. Sally hatte ihr schon erzählt, dass der Hund sich sehr nach Marcus sehnte. "Seit Sie sich nicht mehr um ihn kümmern, will er nicht mehr richtig fressen. Er vermisst sein Herrchen."
Da gab Marcus einen verächtlichen Laut von sich. "Hunde sind so wankelmütig wie Frauen. Er wird seine Zuwendung bald jemand anders schenken."
"Das braucht er aber nicht, er hat doch Sie."
Nun wurde Marcus zornig. "Ich will den Hund nicht hier oben haben, und ich will auch nicht in den Garten gehen!
Verdammt noch mal, lassen Sie mich endlich in Ruhe!"
"Das kann ich nicht", antwortete Olivia unbeeindruckt und betrachtete ihn prüfend. "Haben Sie sich heute Morgen rasiert?"
Marcus runzelte die Stirn. "Was hat denn das mit Jasper zu tun?"
"Nichts. Ich habe mich nur gefragt..."
"Ich brauche kein Kindermädchen, Miss King!" unterbrach er sie scharf. "Im Krankenhaus habe ich gelernt, mich zu rasieren, selbstständig anzuziehen und allein zu essen."
"Sie haben sich sehr gut rasiert", fuhr Olivia unbeirrt fort.
"Ich frage mich nur, warum sie so einfache Dinge wie einen Spaziergang im Garten nicht machen wollen, wenn Sie die schwierigen perfekt beherrschen."
"Weil ich nicht als Blinder mit dem weißen Stock durch die Gegend stolpern will, deshalb!" rief Marcus aufgebracht.
Olivia sah ihn betroffen an. Weshalb war sie nicht selbst darauf gekommen? Marcus war viel zu stolz, um anderen Menschen zu zeigen, wie hilflos er in seinem augenblicklichen Zustand war. In seinem Zimmer und im Bad kannte er sich inzwischen sehr gut aus, aber der Garten war neues Terrain für ihn, in dem unzählige Gefahren lauerten, denen er sich nicht aussetzen wollte.
Olivia wollte Marcus jedoch nicht spüren lassen, wie sehr sie mit ihm litt. "Ich könnte Ihnen etwas Besseres anbieten als den weißen Stock", bot sie deshalb betont heiter an.
"Und das wäre?" fragte Marcus zynisch.
Olivia umfasste seine Hand, doch er entzog sie ihr sofort.
Aber Olivia gab nicht so schnell auf. Ohne sich von Marcus'
abwehrender Haltung beirren zu lassen, legte Olivia ihre Hand in seine Armbeuge. "Wir können es auch so machen, wenn Ihnen das lieber ist. So kann Ihnen nichts passieren."
"Ich gehe trotzdem nicht in den Garten", weigerte er sich stur.
"Und warum nicht?"
"Weil es mir hier besser geht."
Nun riss Olivia der Geduldsfaden. "Ihnen vielleicht schon, aber mir nicht! Ich habe nicht die Absicht, den ganzen Sommer in diesem stickigen Zimmer zu verbringen, wenn ich in einem schönen Garten sitzen kann! Und Jasper wird sich auch freuen, wenn er endlich Gesellschaft hat!"
Olivia warf Marcus noch einen grimmigen Blick zu, dann verließ sie den Raum. Nachdem sie sich umgezogen hatte, ging sie hinunter in den Garten, wo sie von Jasper stürmisch begrüßt wurde.
"Dein schlecht gelauntes Herrchen sitzt immer noch oben und schmollt vor sich hin", sagte sie absichtlich so laut, dass Marcus es hören konnte. "Aber mit mir lässt es sich auch schön spielen, du wirst schon sehen. Komm, wir wollen mal ein Stöckchen für dich suchen."
Olivia tobte eine ganze Stunde lang mit Jasper im Garten herum und hatte sehr viel Spaß dabei. Jasper war ein äußerst liebenswerter Hund, und Olivia bedauerte es ebenso sehr wie er, als sie das Spiel beenden musste.
"Tut mir Leid, mein Junge", sagte sie lächelnd und tätschelte den Labrador liebevoll. "Ich muss jetzt wieder an die Arbeit gehen. Aber morgen spiele ich wieder mit dir, einverstanden?"
Als Olivia wenig später in die Küche kam, war das Essen bereits fertig. "Ich nehme Dr. Hamiltons Teller mit nach oben, ja?" bot sie Mrs. Podmore an.
Die Haushälterin machte ein skeptisches Gesicht.
"Normalerweise bringe ich ihm das Essen auf einem Tablett nach oben."
"Umso besser. Dann können Sie meinen Teller gleich dazustellen."
"Das wird Dr. Hamilton aber bestimmt nicht recht sein."
"Das macht nichts", erwiderte Olivia unbekümmert, und Mrs.
Podmore sah sie verwundert an.
"Also gut, wenn Sie meinen ..." Sie deckte beide Teller zu und stellte sie auf das Tablett. "Aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt."
"Keine Sorge, das tue ich ganz bestimmt nicht", erwiderte Olivia
Weitere Kostenlose Bücher