Lockende Zaertlichkeit
lachend, trug das Tablett nach oben und klopfte mit dem Fuß gegen die Tür, da sie das Tablett nicht mit einer Hand halten konnte.
"Herein", ertönte Marcus' schroffe Stimme.
"Sie müssen mir helfen, ich kann die Tür nicht aufmachen!"
Olivia hörte unterdrücktes Fluchen, und wenige Sekunden später ging die Tür auf.
"Mittagessen!" rief Olivia fröhlich, ging an Marcus vorbei und stellte das Tablett auf den kleinen Tisch am Fenster.
"Ich dachte, Sie wären Krankenschwester und keine Bedienung", bemerkte Marcus spöttisch, doch Olivia dachte nicht daran, sich von ihm provozieren zu lassen.
Während sie den Tisch deckte, erklärte sie Marcus genau, wie sie alles arrangierte. "Ich habe nicht die Absicht, mir von Ihnen den Appetit verderben zu lassen", sagte sie schließlich. "Das Essen sieht nämlich köstlich aus." Sie setzte sich hin und sah Marcus erwartungsvoll an. "Wollen Sie nicht auch Platz nehmen?"
Er schüttelte stur den Kopf. "Erst wenn Sie weg sind."
"Ich habe aber nicht vor wegzugehen."
"Ich brauche keine Zuschauer, während ich esse!" stieß Marcus verärgert hervor.
"Die werden Sie auch nicht haben." Olivia streute Salz und Pfeffer über ihre Mahlzeit. "Ich bin viel zu beschäftigt mit meinem eigenen Essen, um Ihnen zuzusehen."
"Mit Ihrem eigenen Essen? Sie werden hier nicht essen!"
"Ich habe schon angefangen. Hm, das Fleisch schmeckt wirklich köstlich. Probieren Sie doch mal. Ich bin sicher ..."
"Hören Sie auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln, verdammt noch mal!"
"Dann hören Sie auf, sich wie eins zu benehmen. Es wird Ihnen bestimmt nicht wehtun, sich zu mir zu setzen. Ich hasse es nämlich, beim Essen allein zu sein."
"Sybil..."
"Isst heute auswärts", fiel Olivia ihm ins Wort. Dabei ließ sie Marcus jedoch nicht spüren, wie Leid es ihr tat, dass Sybil es nicht einmal fertig brachte, ihn in seinem Zimmer zu besuchen.
"Bitte setzen Sie sich zu mir, Marcus", bat Olivia sanft. "Das Essen wird sonst kalt."
Marcus stand sekundenlang da und schien mit sich zu kämpfen, dann setzte er sich endlich hin. "Wollen Sie nicht das Fleisch für mich schneiden?" fragte er zynisch.
"Soll ich das denn tun?"
"Nein!"
Tatsächlich kam Marcus sehr gut mit dem Essen zurecht.
Doch Olivia hütete sich davor, eine Bemerkung dazu
abzugeben. Als sie schließlich fertig waren, stellte sie das Geschirr zurück aufs Tablett und wandte sich zum Gehen. "Ich werde uns jetzt Kaffee holen, ja?"
"Olivia..."
"Ja?"
"Danke", sagte Marcus schroff, als hätte es ihn große Überwindung gekostet, dieses Wort auszusprechen. "Es war zur Abwechslung mal ganz angenehm, zu wissen, was ich überhaupt esse. Und vor allem, was wo genau auf dem Teller liegt. Mrs.
Podmore stellt mir immer nur das Tablett hin und verschwindet dann ohne Kommentar. Einmal habe ich Meerrettichsoße zusammen mit der Apfelpastete gegessen."
"O Marcus!"
"Schon gut, gehen Sie den Kaffee holen", sagte er barsch, und Olivia folgte seiner Aufforderung.
Als sie wiederkam, war der kurze Moment der Vertrautheit vorüber, und Marcus hatte sich wieder auf seinen Platz am Fenster zurückgezogen. Aber es war ein Anfang gewesen, und Olivia versuchte nicht, Marcus weiter zu bedrängen. Nachdem sie den Kaffee getrunken hatten, bot sie Marcus an, ihm aus der Zeitung vorzulesen.
"Ich höre lieber Radio", lehnte er den Vorschlag ab.
"Aber im Radio erfährt man nur das Allernotwendigste", gab Olivia zu bedenken. "Außerdem komme ich sonst nie dazu, Zeitung zu lesen."
"Sie wollen Zeitung lesen, während Sie für mich arbeiten?"
"Warum nicht? Ich habe während meiner Arbeitszeit ja auch mit Ihrem Hund gespielt."
Zu ihrem Erstaunen lächelte Marcus unvermittelt. "Während sein schlecht gelauntes Herrchen oben saß und schmollte, stimmt's?"
Olivia erwiderte sein Lächeln. Also hatte er tatsächlich gehört, was sie im Garten über ihn gesagt hatte. " Jasper hätte sich noch mehr gefreut, wenn Sie mitgekommen wären."
"Sie haben mich bestens vertreten, Olivia. Es hat Ihnen Spaß gemacht, mit dem Hund zu spielen, nicht wahr?"
"Sehr. Soll ich Ihnen jetzt aus der Zeitung vorlesen oder nicht?" nahm Olivia den Faden wieder auf, da sie gemerkt hatte, dass Marcus absichtlich vom Thema ablenkte.
"Also gut. Ich möchte Ihnen schließlich nicht den schönen Tag verderben."
Wie immer ging Olivia nicht auf seine spöttischen
Bemerkungen ein, sondern begann zu lesen. Zuerst wirkte Marcus teilnahmslos, doch dann hörte er immer aufmerksamer zu und sprach sie
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