Lockende Zaertlichkeit
Schultern. "Menschen ändern sich eben. Vor sechs Jahren war ich erst zwölf, eigentlich noch ein Kind."
O ja, und was für eins, dachte Olivia bitter. Du hast es damals geschafft, einen Keil zwischen mich und Marcus zu treiben und eine Beziehung zu ihm unmöglich zu machen."
"Ich habe Daddy damals nicht verstanden, weil ich einfach noch zu jung dafür war", gab Sally zu. "Aber jetzt ist das anders."
Olivia lächelte sanft. "Das weiß ich, Sally. Ich war damals ja selbst erst achtzehn."
"Aber du hast Daddy geliebt!"
"Vielleicht habe ich geglaubt, ihn zu lieben, aber ..."
"Ich bin sicher, dass du ihn geliebt hast", beharrte Sally.
"Das mag schon sein", gab Olivia widerstrebend zu. "Aber ein Mann in der Position deines Vaters konnte es sich nicht erlauben, sich mit einem achtzehnjährigen Mädchen
einzulassen. Schließlich ist er schon damals Chefarzt gewesen."
"Das ist er immer noch. Aber er arbeitet jetzt woanders - in einem größeren Krankenhaus."
Olivia konnte sich sehr gut vorstellen, dass Marcus nun, mit neununddreißig Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand, denn er war schon damals einer der besten Ärzte der Klinik gewesen. "Und wie geht es deiner Mutter?" fragte sie und hielt dabei den Atem an. Wahrscheinlich würde Sally ihr jetzt erzählen, wie glücklich Marcus und seine Frau Ruth miteinander waren.
"Wie es Mummy geht?" wiederholte Sally erstaunt. "Weißt du denn nicht, dass sie vor drei Jahren gestorben ist?"
Olivia schluckte schwer. "Ich ... ich hatte keine Ahnung. Das tut mir Leid für euch."
Ruth Hamilton war seit drei Jahren tot, und sie, Olivia, hatte nichts davon gewusst! Das bedeutete, dass Marcus seit drei Jahren allein war. Oder hatte er vielleicht eine neue Partnerin?
Marcus war ganz bestimmt kein Mann, der lange ohne weibliche Gesellschaft blieb. Olivia hatte ihn ja selbst während einer vorübergehenden Trennung von seiner Frau kennen gelernt.
"Hat... hat dein Vater wieder geheiratet?" fragte Olivia angespannt.
Sally verzog das Gesicht. "Wie denn? Er ist mit seiner Arbeit verheiratet. Das war doch schon immer so."
Olivia stand abrupt auf. "Ich glaube, ich werde jetzt ein bisschen schwimmen gehen. Es war sehr nett, dich wieder zu sehen, Sally. Bis bald." Dann drehte sie sich um, lief zum Pool und sprang ins kühle Nass.
Olivia wollte nicht mehr mit Sally reden, nicht an die Zeit erinnert werden, die sie mit Marcus verbracht hatte. Erst als Olivia vom Swimmingpool aus sah, dass Sally ihren Platz verlassen hatte und sich weiter entfernt mit einem jungen Mann unterhielt, wagte sie sich aus dem Becken und verschwand schnell in der Umkleidekabine.
Sally hatte sich völlig verändert. Sie schien sich von dem unmöglichen Kind zu einem netten jungen Mädchen entwickelt zu haben. Vor sechs Jahren war sie eine verwöhnte Göre gewesen, die ihren Vater völlig vereinnahmt und keine Frau an ihn herangelassen hatte. Marcus hatte auf das Verhalten seiner Tochter mit Nachsicht und Verständnis reagiert, und Olivia, damals selbst erst achtzehn, war nicht in der Lage gewesen, mit der schwierigen Situation umzugehen. Da sie sich Marcus'
Gefühle nicht sicher gewesen war, hatte sie nicht die Kraft gehabt, sich gegen die offene Ablehnung zu wehren, die ihr von Sally und deren Großmutter Sybil entgegengeschlagen war.
Als Olivia aus der Umkleidekabine trat, kam Natalie auf sie zu. "Gut, dass du gerade gehen willst, Olivia. Rick hat nämlich auch genug für heute."
Olivia runzelte die Stirn. "Geht es ihm nicht gut? Ich hätte vielleicht öfter nach ihm sehen sollen."
Doch Natalie winkte unbekümmert ab. "Mach dir keine Gedanken, Olivia. Rick ist erwachsen und weiß selbst, wann es Zeit ist zu gehen. Aber du kannst ruhig noch etwas bleiben, wenn du möchtest. Bestimmt wirst du jemanden finden, der dich nach Hause..."
"Nein, nein, mir reicht es auch für heute", unterbrach Olivia Natalie schnell. "Die ... die Sonne ist mir einfach zu heiß."
Natalie betrachtete sie skeptisch. "Es hat dich doch niemand geärgert oder belästigt? Ich meine, die Jungs können manchmal ziemlich..."
"O nein, ganz und gar nicht", wehrte Olivia hastig ab. "Ich bin nur müde und möchte nach Hause."
Doch Natalie schien nicht überzeugt zu sein. "Ist wirklich alles in Ordnung, Olivia?" fragte sie besorgt. "Du siehst irgendwie so ... verstört aus."
Olivia erschrak. Sah man ihr tatsächlich an, wie aufgewühlt sie war? Dieses kurze Treffen mit Sally hatte offensichtlich genügt, um sie, Olivia, völlig
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