Lockende Zaertlichkeit
Mutterglucke. Hast du überhaupt eine Ahnung, was das für einen Mann bedeutet?"
"O Marcus ..."
"Geh weg!" befahl er hart und kehrte ihr den Rücken zu.
"Marcus ..."
"Ich will allein sein, verdammt noch mal! Geh in den Garten, und leiste Jasper Gesellschaft."
Olivia schwieg betroffen und respektierte Marcus' Wunsch.
Sie konnte sehr gut nachempfinden, wie ihm zu Mute war. Als erfahrene Krankenschwester merkte sie sofort, wenn ein Patient wirklich das Bedürfnis hatte, allein zu sein.
Der Labrador begrüßte sie stürmisch, und Olivia tobte eine Stunde im Garten mit ihm herum. Danach ging sie wieder nach oben, um Marcus wie jeden Tag aus der Zeitung vorzulesen.
Dabei musste sie jedoch ständig an Jason Fitzgerald denken. Da Marcus' Laune jedoch von Tag zu Tag schlechter geworden war, hatte Olivia es bisher nicht gewagt, ihn auf die Untersuchung anzusprechen. Nun war es bereits Donnerstagnachmittag, und Olivia wurde immer nervöser, weil sie wusste, dass Simon sich auf sie verließ. Auch Sally machte sich große Hoffnungen auf die Hilfe des Spezialisten. Ihr Optimismus war so ansteckend, dass Olivia schließlich doch den Mut fasste, das Thema anzuschneiden. Sie legte die Zeitung weg und dachte darüber nach, wie sie am besten anfangen sollte.
"Was hast du?" fragte Marcus, der Olivias innere Anspannung sofort zu spüren schien.
"Marcus, ich muss dich etwas fragen", begann sie vorsichtig.
"Was hältst du von Jason Fitzgerald?"
Olivia sah, wie Marcus sich versteifte. "Was soll ich dazu sagen?"
"Also, ich meine ..."
"Was willst du von mir hören, Olivia?"
"Simon meint..."
"Was Simon meint, interessiert mich nicht!" Marcus stand abrupt auf. "Lasst euch nicht einfallen, hinter meinem Rücken etwas gegen mich auszuhecken!"
"Aber Marcus, das ist doch Unsinn ..."
"Tatsächlich? Willst du bestreiten, dass ihr beide, du und Simon, schon untereinander ausgemacht habt, dass ich mich von Fitzgerald untersuchen lassen soll? Und das, ohne mich vorher zu fragen?"
"Aber wir ..."
"Ihr behandelt mich wie einen geistig Zurückgebliebenen, habt ihr das noch nicht gemerkt? Der Unfall hat nicht meinen Verstand geschädigt, Olivia, sondern nur mein Augenlicht! Ihr hattet kein Recht, eine solche Entscheidung für mich zu treffen."
"Aber wenn wir dich gefragt hätten ..."
"Hätte ich Nein gesagt, das habt ihr genau gewusst."
"Aber Jason Fitzgerald ist extra aus den Staaten gekommen, um dich zu untersuchen!"
"Das ist sein Problem." Marcus presste die Lippen zusammen. "Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, mich von ihm untersuchen zu lassen. Weder jetzt noch zu einem späteren Zeitpunkt."
"Aber Marcus ..."
"Die Antwort heißt nein!"
Zorn erfasste Olivia. Wie konnte ein Mensch nur so stur sein!
"Wenn du es schon nicht für dich selbst tust, dann tue es wenigstens für Sally!" forderte sie aufgebracht. "Sie setzt große Hoffnungen in diese Untersuchung."
"Ihr hattet kein Recht, ihr Hoffnungen zu machen, ohne mich vorher zu fragen!"
"Wir haben eben auf deine Vernunft vertraut."
"Anscheinend verstehe ich unter Vernunft etwas anderes als ihr. Ich werde mich nicht von Fitzgerald untersuchen lassen, und damit basta!" Marcus drehte sich um und kehrte Olivia demonstrativ den Rücken zu.
"Marcus, hör mich doch zu!" Olivia legte ihm die Hand auf den Arm und spürte, wie Marcus sich versteifte. "Ich weiß, dass du Angst hast, aber..."
"Angst?" Marcus fuhr so wütend herum, dass Olivia erschrak. "Ich habe keine Angst! Ich habe es nur satt, mich ständig von euch bevormunden zu lassen! Was weißt du schon, wie es ist, blind zu sein? Was weißt du von meinen Gefühlen?
Du weißt gar nichts!" Er ballte die Hände zu Fäusten und atmete heftig. "Ich will, dass du mein Haus verlässt, Olivia. Und zwar noch heute. Hast du mich verstanden?"
"Ja, ich habe verstanden", antwortete Olivia resigniert. Es hatte keinen Sinn, sich weiter mit Marcus zu streiten.
"Und richte Simon aus, dass ich Fitzgerald nicht treffen werde. Weder ihn noch irgendeinen anderen Spezialisten!"
Olivia sagte nun gar nichts mehr. Sie verließ enttäuscht den Raum und schloss leise die Tür hinter sich zu. Marcus hatte sie aufgefordert, sein Haus zu verlassen, aber sie wollte nicht gehen. Sie konnte ihn nicht im Stich lassen, weil sie ihn viel zu sehr liebte.
6. KAPITEL
"Oje, das hat sich aber schlimm angehört", meinte Sally besorgt. Sie stand an der Treppe und hatte offensichtlich alles mit angehört. "Daddy scheint alles andere als guter Laune zu
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