Lockruf der Toten / Magischer Thriller
dämonischen Fähigkeiten hat sie nicht mitgekriegt, aber wahrscheinlich gibt’s ihrer Formelwirkerei einen kleinen zusätzlichen Schub.«
Ich gab all das an Jeremy weiter, der sichtlich darüber nachdachte, während ich weitersprach. »Sagen wir, May Donovan hat dieses Bedürfnis tatsächlich aufgrund ihrer latenten Kräfte. Sie sucht nach Wissen und erreicht nichts. Also wechselt sie die Seiten – reagiert ihre Enttäuschung ab, indem sie Schwindler auffliegen lässt, sucht insgeheim aber immer noch nach der Wahrheit. Und selbst nachdem sie eine Hintertür zur Magie gefunden hat, hält sie ihre Tarnung noch aufrecht – sowohl, um nach weiteren Formen von Magie zu suchen, als auch, um sich selbst zu schützen.« Ich unterbrach mich. »Meint ihr, sie weiß über Hopes Kräfte Bescheid? Vielleicht war das der Grund, dass sie sich überhaupt erst mit ihr in Verbindung gesetzt hat.«
»Möglich«, sagte Jeremy. »Aber genauso wahrscheinlich ist es, dass sie es sich einfach zur Aufgabe gemacht hat, einen Draht zu allem Paranormalen in dieser Stadt zu haben, bis hin zu einem Hilfsangebot an die neue Boulevardjournalistin mit dem Spezialgebiet Paranormales. Wenn Hope dann etwas findet, wäre May die Erste, die davon erfährt.«
»Was ja nun auch passiert ist.«
Wir versuchten uns auf eine Vorgehensweise zu einigen. Die einfachste Möglichkeit, unsere Theorie zu überprüfen, wäre es gewesen, Mays Einladung anzunehmen und sie dabei in eine Falle zu locken. Aber wir hatten keine Möglichkeit herauszufinden, wie viele Leute beteiligt waren und über welche Sorte Magie sie verfügten.
Fast eine Stunde verging; dann klingelte Jeremys Handy.
»Es ist Hope«, sagte er, bevor er dranging. »Ich hätte sie anrufen sollen.«
Zwei Minuten später beendete er das Gespräch. »Zack Flynn will sich mit uns treffen. Er sagt, er hat Neuigkeiten für uns.«
»Der Journalist? Aber er gehört doch der Ehrich Weiss Society an und ist damit wahrscheinlich genau wie May ein Mitglied dieser magischen Gruppe, warum sollte er also …« Ich unterbrach mich. »Weil ich weder mit May geredet noch sie zurückgerufen habe. Jetzt versucht stattdessen
er
sein Glück.«
»Es sieht ganz so aus. Ich habe Hope gesagt, sie soll auf Zeit spielen, wir würden in einer halben Stunde dort sein.«
»Hingehen? Ist das nicht zu gefährlich?«
»Wir werden vorsichtig sein. Aber wir müssen sowieso hin – es gibt da noch jemanden, mit dem ich reden muss.«
Es war Samstag, und so hatte Hope den Tag bisher in ihrer Wohnung verbracht und auf Anweisungen von Jeremy gewartet. Als wir ankamen, ging Jeremy als Erstes zum Ende der schmalen Straße vor ihrem Wohnhaus und schnupperte in der Luft herum. Als er sich vergewissert hatte, dass niemand außer uns in Sichtweite war, ging er in die Hocke und versuchte eine Fährte aufzunehmen.
Dann richtete er sich wieder auf und führte mich in einen Durchgang. Ich wusste inzwischen, wenn er in einem solchen Fall nichts sagte, dann wollte er mich entweder nicht beunruhigen, oder er wollte keine voreiligen Ansichten äußern.
Wir bogen um ein weiteres Gebäude und kamen … sonstwo heraus. Mein Orientierungssinn ist erbärmlich, und hier zwischen den hohen Häusern hatte ich nicht einmal die Sonne, nach der ich mich hätte richten können. Noch eine Straße, noch ein Durchgang.
Als der Dreck unter unseren Füßen zu Kies wurde, teilte Jeremy mir mit einer Handbewegung mit, ich solle warten. Dann ging er weiter, langsam und lautlos; nicht ein Steinchen bewegte sich unter seinen Füßen. Als er sich einer Türnische näherte, drückte er sich an die Mauer und blieb unmittelbar vor der Öffnung stehen. Er war zu weit entfernt und zu sehr im Schatten verborgen, als dass ich ihn klar hätte sehen können, aber ich konnte mir mühelos vorstellen, wie er witterte, horchte, wartete.
Dann trat er aus der Deckung hinaus unmittelbar vor die Nische hin.
»Hallo, Karl.«
Seine Stimme hallte in dem leeren Durchgang und wurde zugleich fast übertönt von einem verblüfften Fluch. Jeremy winkte mich zu sich.
Und dort im Schatten stand Karl Marsten.
Karl Marsten war ein Neuzugang zum Rudel nach mehreren Jahren der Unentschlossenheit und ein professioneller Juwelendieb, und er sah aus wie die Hollywoodversion eines solchen – dunkelhaarig mit scharfen Gesichtszügen und noch schärferen graublauen Augen. Mit seinen gebügelten Hosen, dem Leinenhemd, den italienischen Trotteurs, der dezenten Bräune und den
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