Lodernde Begierde
noch immer auf dem Teppich und zog ihre unverschämt langen Beine unter sich, während sie geistesabwesend die kleine Wunde in ihrem Handteller rieb und zu dem intelligentesten, schwierigsten und widersprüchlichsten Mann aufschaute, den kennenzulernen sie je das Vergnügen gehabt hatte.
Allerdings kannte sie nicht gerade viele Männer. Bis sie nach London gekommen war, hatte sie es über Jahre geschafft, mit niemandem als der Herrin und der rein weiblichen Dienerschaft von Acton Manor ein Wort zu wechseln.
Sie hatte es geschafft, auch in Anwesenheit der beiden Männer, die ihre Cousinen geheiratet hatten, einigermaßen entspannt zu bleiben. Zumindest zerbrach sie nichts, wenn sie im selben Raum mit ihr waren. Doch Graham war der erste Mann, den sie wirklich näher kennenlernte.
Graham selbst hatte sie beruhigt. »Ich bin für keine Frau zu haben – niemals!«, hatte er ihr gesagt. »Außerdem spiele ich, da ich nun einmal sehr attraktiv bin, vollkommen außerhalb Eurer Liga. Ihr seht also, dass wir genauso gut Freunde sein können, denn es besteht auch nicht die geringste Möglichkeit, dass wir einander jemals etwas anderes sein könnten.«
Durch seine Worte beruhigt und von einem Verstand verlockt, der endlich ihrem eigenen entsprach, war Sophie mit ihrer Freundschaft recht zufrieden.
Meistens.
Graham war ein herrlicher Gesellschafter, wenn er sich denn daran erinnerte, sie zu besuchen. Er war attraktiver, als gut für ihn war, mit diesem gemeißelten Kinn und, was seinem Charakter am meisten abträglich war, dem verwegenen Lächeln, das jede Frau, die er traf, dazu brachte, ihm alles zu verzeihen. Im Voraus.
Wie es schien, reagierte sie selbst nicht anders. Im Augenblick machte er keinerlei Anstalten, seinen vormaligen Platz auf dem Sofa wieder einzunehmen. Sophie kannte die Zeichen.
Er wurde unruhig. Das war immer so. Wenn er der Spielchen und der nebensächlichen Ränke der sogenannten guten Gesellschaft überdrüssig wurde, suchte er sie auf. Sie beobachtete, wie die Anspannung aus seinen Schultern wich und sein Lächeln nicht länger glatt, sondern herzlich wirkte.
Sie erlebten dann herrliche unterhaltsame Abende beim Kartenspiel – er mogelte, aber das tat sie auch, nur besser –, und er erzählte von skandalösen Gerüchten, sie selbst kannte keine außer welche über Lady Tessa, aber sie wollte mit ihm nicht über seine Cousine klatschen.
Dann wurde er schließlich wieder unruhig, üblicherweise genau in dem Augenblick, wenn sie hoffte, dass es nicht wieder passierte, und er sehnte sich sichtlich nach Ablenkung und danach, dass etwas passierte. Natürlich ließ sie sich nicht anmerken, dass es ihr leidtat, ihn gehen zu sehen. Der kleinste Hinweis darauf, dass sie sich zu sehr zu ihm hingezogen fühlte, würde ihn in die Flucht schlagen. Möglicherweise für immer.
Außerdem fühlte sie sich nicht zu ihm hingezogen. Jedenfalls nicht ernstlich. Schließlich spielte er – mit seinen eigenen Worten – außerhalb ihrer Liga. Wer war sie denn schon? Nur eine Frau, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierhergekommen war. Als sie Acton ohne ein Wort mitten in der Nacht verlassen und das Geld genommen hatte, das Lady Tessa entsprechend dem Testament des alten Pickering geschickt hatte, war sie sich nur über eins sicher gewesen: Sie würde sterben, wenn sie noch länger dort bliebe.
Sie war ein Niemand. Als Frau zu unattraktiv, als dass sie jemand heiraten würde, und zu ungeschickt zum Arbeiten. Nur eine Idiotin würde sich erlauben, einen Mann lieb zu gewinnen, den sie niemals haben konnte.
Sophie war keine Idiotin. Die einfache, arme »Bohnenstangen-Sophie« wusste, dass diese Zeit in London ein fauler Zauber war, dass Träume mit dem Aufwachen vorüber waren und dass einige Mädchen besser gar nicht erst anfingen zu träumen.
Deshalb warf sie Graham einen Blick freundlicher Missbilligung zu. »Ihr seid wieder auf dem Weg zu Eurer geifernden Geliebten, nicht wahr?« Sehr gut. Das klang, als könnte es dir gleichgültiger nicht sein.
Er bedachte sie mit einem tadelnden Blick, während er sich die Weste glatt strich. »Ihr solltet über solche Dinge nicht sprechen. Außerdem geifert Lady Lilah Christie wohl kaum, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. «
Sophie kniff die Augen zusammen. Lady Lilah Christie war ein weiblicher Salonlöwe, bekanntermaßen stand sie allem Erotischen und Sinnlichen sehr offen gegenüber, natürlich war sie eine umwerfende Schönheit und seit Kurzem Witwe.
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