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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Hintergedanken vermuteten.
    Sie vermuteten ganz richtig, Pjotr Petrowitsch, erwiderte der junge Mann, aber nehmen Sie getrost an, daß ich den Hintersinn selbst nicht kenne. Mit Spionage im üblichen Sinn hat es jedenfalls nichts zu tun. Das Schreiben, an dem ich mich gerne – bisher leider vergeblich – messen möchte, ist ein zweckfreies Geschäft.
    Haben Sie Vorbilder? fragte Golownin.
    Sie
, sagte Löwenstern, doch Sie schreiben ja nicht. Also Goethe. Nicht eben originell. Aber es liegt wohl daran, daß ich ihm persönlich bekannt bin, oder, um mich angemessener auszudrücken: er mir. Auch das ist noch eine zu kühne Behauptung. Kurzum, ich bin ihm begegnet und verdanke ihm mein Motiv – zugleich nimmt er mir den Mut, es anzupacken. Da müßte er selber dran.
    Und was für ein Motiv? fragte Golownin.
    Gulliver, sagte Löwenstern.
    Aber den gibt es schon, sagte Golownin. – Ich habe mit seinen Reisen lesen gelernt.
    Also gibt es ihn jetzt schon dreimal, sagte Löwenstern, der errötet war. – Als Erfindung des Herrn Swift. Als Ihren Übernamen im Italienischen Palais. Und jetzt also auch als Ihr erstes Leseerlebnis – es war auch das meinige. Da haben wir ja schon mehr gemeinsam, als ich zu hoffen gewagt hätte.
    Aber Gulliver ist schon geschrieben, sagte Golownin.
    Sie sagen es. Und er war auch nicht bloß ein Riese. Wenn Sie mir die Erinnerung erlauben – wer Ihnen dieses
Vulgo
angehängt hat, kann im Buch nicht weit gekommen sein. Als Zwerg im Riesenland finde ich Gulliver respektabler; von den andern Fabelländern zu schweigen. Gewiß, doch, Gulliver ist schon geschrieben – aber er läßt noch Raum zur Fortschreibung, den ich
bedeutend
nennen würde, bildete das Wort nicht eine so schwere Hypothek. Aber ich muß ohnehin schweigen – das habe ich dem Verleger versprochen. Wie leicht könnte mir einer zuvorkommen. Dann brauchte er nur noch besser zu schreiben, und mein halbes Leben wäre vertan.
    Verlag haben Sie auch schon, sagte Golownin, in England, nehme ich an.
    Wo sonst kann man die paar Freiheiten, die man sich nimmt, auch frei publizieren? sagte Löwenstern. – Von Rußland rede ich gar nicht. Aber auch das übrige Europa ist heute eine französische Domäne, selbst die Niederlande, wo früher alles möglich war. Die Briten sind gnadenlose Händler, doch sie bleiben die Leute des
Habeas Corpus
. Ich habe gerade einer englischen Zeitschrift einen Aufsatz geliefert, der über mein Vaterland wenig Schönes zu berichten hat. Aber auch durch die Französische Republik mußte ich ihn auf der nackten Haut tragen und jede Leibesvisitation fürchten. Ich schreibe gegen Leute wie Resanow – wo soll so etwas erscheinen, wenn nicht in England? Aber Sie werden es lesen, sogar im
Unicorn
, auch wenn Ihnen dabei mein Name nicht begegnen wird, aus naheliegenden Gründen.
    Wer sind Sie denn? fragte Rikord.
    Müssen Sie insistieren, Pjotr Petrowitsch? Also gut: von Geburt bin ich ein baltischer Krautjunker; einer von zu vielen. Sogar in der Familie sind wir zehn Geschwister – um nur von den lebenden zu sprechen. Die Dörfer, die das Gut ernähren sollten, tun es nicht. Ich mußte wandern und mein Glück machen. Zur Zeit sieht das Glück wie eine deutsche Jakobinerwitwe aus, die mich in Paris unter ihren Fittich nahm. Inzwischen wurde mir das Plätzchen ein bißchen eng. Nur Luft! Die englische schnappe ich einmal am liebsten, nachdem sie mir ein paar Jahre in der
Royal Navy
um die Nase geweht hat. Wenn sie mir zu bleihaltig wurde, segelte ich ein Land weiter. Fast immer nahm der gute Wind die Gestalt einer Frau an, und jedesmal trieb er mich zu weit. In Stambul hätte mich eine Zobeïde beinahe zum Muslim gemacht, Lady Hamilton in Neapel zu einem vollendeten Narren – daß ich beide mit einem hohen Herrn teilen mußte, kränkte meine Eitelkeit, denn ich wollte immer gern ein Hirsch sein, kein Beihirsch. Daß ich noch gut bedient war, erkenne ich erst jetzt, wo ich die Liebste mit einem Toten teilen muß –
you get the worst of both worlds
. Ich sollte Abschied nehmen, aber angesichts der Verdienste, die sie sich um meine arme Seele erworben hat, ist er noch nicht reif. Es bleibt nur die kleine Flucht. Wer bist du, Hermann? Das fragt auch
sie
mich jeden Tag, es wundert mich nicht, daß Sie es fragen – es geniert mich nur. Selbst in Portsmouth lebe ich auf Isabelles Kosten – sie hat mir das Reisegeld vorgestreckt. Sie nimmt mich zu ernst, aber wie kann ich
nicht
zu ihr zurückkehren? Davor könnte mich

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